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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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Der Kerl hätte mich doch am Fenster entdecken und auf mich schießen können! Und dann waren ja auch schon die Bullen da. Äh, ich meine, Ihre Kollegen.« Er grinste und steckte die Zigarette zwischen die Lippen.
    LaBréa bedankte sich knapp und ließ den Mann stehen. François Odilon hatte seine Geduld zu sehr strapaziert. Die Flucht des Geiselnehmers, der den Wagen gewechselt und Céline weiterhin in seiner Gewalt hatte, betraf ihn einfach zu persönlich. LaBréas Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und die Sorge um seine schwangere Freundin wurde von Minute zu Minute größer. Die Polizei hatte den Kontakt verloren, und niemand wusste, wohin der Mann fuhr und was er vorhatte.
    LaBréa ging zu dem grünen Renault.
    »Irgendwas gefunden?«, fragte er einen der Techniker, die den Wagen untersuchten. Der schüttelte den Kopf.
    »Nichts, was gleich ins Auge sticht. Wir nehmen den Wagen mit, um ihn gründlich durchzuchecken.«
    Véronique Andrieu, die mit über der Brust verschränkten Armen fröstelnd neben ihrem Sportcoupé gewartet hatte, trat jetzt zu LaBréa und ergriff seinen Arm.
    »Komm, Maurice. Wir fahren zurück. Hier kannst du nichts mehr tun. Die Ringfahndung läuft im Umkreis von fünfzig Kilometern. Ein riesiges Polizeiaufgebot ist in Aktion. Es besteht die Chance, dass der Kerl rechtzeitig geschnappt wird.«
    »Du meinst, bevor er Céline umbringt?« Es klang sarkastisch, doch Véronique hörte die Verzweiflung heraus, die dahintersteckte.
    »Ich weiß, was du empfindest, aber du darfst dich da jetzt nicht reinsteigern! Ich fahre dich zum Quai des Orfèvres. Du hast einen Mordfall aufzuklären. Lenk dich ab, versuche, die Ruhe zu bewahren. Du kannst im Moment nichts tun, rein gar nichts, Maurice.«
    Véroniques Worte klangen nüchtern und sachlich, und LaBréa wusste, dass sie Recht hatte. Die Hände waren ihm gebunden, und die Dinge nahmen ihren Lauf, ohne dass er die geringste Chance hatte, sie zu beeinflussen. Diese Erkenntnis zu akzeptieren fiel ihm unendlich schwer, doch er musste der Realität ins Auge sehen und das Gefühl der Ohnmacht bekämpfen, das eine unbändige Wut in ihm auslöste.
    Er nickte und sagte leise: »Okay, fahr mich ins Büro. Aber eines würde ich noch gern wissen, Véro. Wie schätzt du den Kerl ein? Was wird er tun?«
    »Schwer zu sagen. Bisher läuft bei der Flucht alles nach Plan für ihn. Dass er seine Geisel mitgenommen hat, kann auch bedeuten, dass er was anderes mit ihr vorhat, als sie zu töten.«
    »Erpressung?« Er dachte auch an schlimmere Dinge: Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung … Doch er sprach es nicht aus. Schon der Gedanke daran war ihm unerträglich. Zudem kannte er Véronique gut genug, um zu wissen, dass auch sie diese Befürchtungen hegte, es jedoch aus Rücksicht ihm gegenüber nicht erwähnte. Ihr kurzer Blick gab ihm Recht.
    »Ja, zum Beispiel Erpressung«, erwiderte Véronique ein wenig zögerlich. »Er hat sie am Leben gelassen und mitgenommen, weil sie ihm noch nützlich sein kann.«
    LaBréa schlug einen Moment die Hände vors Gesicht. Er fühlte sich völlig ausgelaugt und fertig, als hätte er drei Tage hintereinander nicht geschlafen. Zudem verspürte er ein quälendes Hungergefühl. Seit dem Croissant zum Frühstück hatte er nichts mehr gegessen, und jetzt war es vier Uhr nachmittags.
    »Ich denke«, fuhr Véronique fort, »dass er sich mit dem bisschen Geld, das er erbeutet hat, nicht zufriedengibt. Etwas mehr als dreitausend Euro – ich bitte dich! Dafür der ganze Aufwand und zwei Tote, die ihn auf jeden Fall lebenslänglich hinter Gitter bringen? Könnte sein, dass er versucht, noch mehr rauszuschlagen, um mit dem Geld dann irgendwo unterzutauchen. Vielleicht meldet er sich ja schon bald.«
    LaBréa gab sich einen Ruck. »Also, dann los, Véro. Halt bitte unterwegs irgendwo an, damit ich mir was zu essen kaufen kann. Ich sterbe vor Hunger.«
    Véronique setzte sich hinters Steuer, und das BMW-Coupé fuhr an. Einige Straßen weiter gab es einen Schnellimbiss, dort holte LaBréa für sich und Véronique zwei Sandwiches. Nachdem er die ersten Bissen verspeist hatte, führte LaBréa zwei Telefonate. Eines mit seiner Tochter Jenny. Sie war vor kurzem in der Wohnung ihres Klassenkameraden Pierre-Michel angekommen, wo dessen Geburtstagsparty stattfand.
    »Wie läuft es denn?«, fragte LaBréa als Erstes. »Habt ihr Spaß?«
    »Es geht ja gerade erst los, Papa. Mal sehen, wie sich alles entwickelt.« Es klang ein wenig abgeklärt, und

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