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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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geliftete Haut. Also begannen die Heimlichkeiten, die nicht immer komplikationslos abliefen. Vor einigen Jahren hatte seine damalige Geliebte – gleichzeitig seine Sekretärin – Druck gemacht, damit er sich scheiden ließ. Doch das wäre für ihn schon aus finanziellen Gründen nie infrage gekommen. Zwischen Françoise und ihm herrschte Gütertrennung. Papa Lavallé, der alte Fuchs, hatte in einer Ecke seines Herzens dem Emporkömmling wohl doch nicht so recht über den Weg getraut und einen entsprechenden Ehevertrag aufgesetzt. Bei einer Scheidung würde Thibon auf viele Annehmlichkeiten verzichten müssen, an denen Menschen mit großem Vermögen ihre Ehepartner teilhaben lassen. Und er hatte sich an ein Leben im Luxus gewöhnt. Dazu gehörte auch die Villa der Lavallés an der Côte d’Azur, das Feriendomizil der Familie. Ein Prestigeobjekt, mit dem Thibon gern prahlte und wohin er großzügig Menschen einlud, die ihm nützlich sein konnten oder mit denen er sich zu schmücken gedachte. Nein, der Gedanke an eine Scheidung war nie wirklich ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Enttäuscht trennte sich die Sekretärin von Thibon und ließ sich in eine andere Dienststelle versetzen. Es folgten neue Geliebte, bis er Eliane kennenlernte, eine rassige, bronzehäutige junge Frau in der Blüte ihrer dreiundzwanzig Jahre. Der Gedanke an sie ließ Thibons Herz auch jetzt wieder höher schlagen. Gleich morgen Mittag würde er sie besuchen – er konnte es kaum erwarten.
    Der bohrende Blick seiner Frau ließ ihn zusammenzucken. Wie ertappt straffte er sich, lächelte und fragte mit gespielter Zärtlichkeit: »Ein Dessert, chérie ?«
    »Mal sehen, was sie heute haben.«
    Thibon winkte den Kellner herbei.
    »Und tu mir den Gefallen, Roland, und ruf nachher LaBréa an. Versprichst du mir das?«
    Thibon nickte. Natürlich würde er den Commissaire nicht anrufen. Er würde Françoise belügen, um sie zufriedenzustellen. Im Lügen war Thibon ein Meister seines Fachs. Sonst hätte er nicht so glatt und ohne jegliche Skrupel seit vielen Jahren ein perfektes Doppelleben führen können.
    Der Druck auf Célines Blase wurde immer stärker. Was bedeutete das für das Baby? Konnte die Unterdrückung eines natürlichen Bedürfnisses einem Ungeborenen Schaden zufügen? Céline wusste es nicht.
    Seit einigen Minuten saß sie dem Geiselnehmer an dem wackligen Tisch im Bauwagen gegenüber. Er betrachtete sie eingehend, sagte aber nichts. Sein Blick war unergründlich, das Schwarz seiner Augen bodenlos. Céline hatte Angst, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben und ihre Furcht nicht zu zeigen. Warum starrte er sie so an? Was kam als Nächstes? Was hatte er mit ihr vor?
    »Tut mir leid, Monsieur«, sagte Céline jetzt entschlossen. »Aber ich muss ganz dringend auf die Toilette.«
    Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes. Er verschränkte die Hände im Nacken. »Verstehe. Du musst pissen. Oder etwa noch was anderes?«
    Heftig schüttelte Céline den Kopf. Sie wusste, was er meinte.
    »Umso besser. Das macht es nicht so kompliziert.« Er stand auf und holte eine der leeren Cassouletdosen, die Céline neben dem Gaskocher hatte stehen lassen. Er knallte sie vor ihr auf den Tisch. »Hier, das ist hoffentlich groß genug. Was anderes gibt’s nicht. Hock dich hinten neben die Matratze. Aber sieh bloß zu, dass nichts danebengeht!«
    Céline spürte, wie die Schamesröte ihr ins Gesicht schoss. Auch die Wut war wieder da, der Hass auf diesen Menschen. Zu allem, was er ihr bereits angetan hatte, brachte er sie nun in eine weitere entwürdigende Situation. Er würde zusehen, wie sie ihre Notdurft verrichtete, und wer konnte wissen, was dies in ihm auslösen mochte. Noch hatte er keine sexuellen Annäherungsversuche gestartet, keine diesbezügliche Gewalt angewendet. Doch das konnte sich jeden Moment ändern, und die Angst davor war Céline jede Sekunde gegenwärtig.
    Sie nahm die leere Konservenbüchse und ging in den hinteren Teil des Wagens. Der Schein der Gaslampe war hier schwächer, dennoch würde der Mann sie gut sehen können. Sie zögerte einen Augenblick, dann zog sie den Reißverschluss ihrer Cordhose auf, streifte die Unterhose herunter und brachte die Büchse in Position. Sie füllte sich rasch, und Céline spürte eine ungeheure Erleichterung. Vorsichtig stellte sie das Gefäß ab und zog rasch ihre Kleidung hoch.
    Der Geiselnehmer hatte tatsächlich die ganze Zeit zugeschaut. Erneut sah Céline das Grinsen auf seinen

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