Der lange Schatten
denen es rege Diskussionen gab. Es wurde gefachsimpelt, geschwärmt, Erfahrungen wurden ausgetauscht. Die User benutzten Nicknames, selten ihre richtige E-Mail-Adresse.
Franck hoffte, in einem dieser Foren auf einen Hinweis zu stoßen, der ihn auf die Spur von Chambons Mörder brachte. Die Chance, wirklich fündig zu werden, war äußerst gering. Aber die Ermittlungsarbeit der Polizei ist oft kleinteilig, und von tausend Recherchen führt manchmal eine zu einem Mosaikstück, das zur Aufklärung des Falles beitragen kann.
Die Pizza war zur Hälfte vertilgt. Franck hatte keinen Hunger mehr, er stellte den Karton mit dem Rest auf den Konferenztisch und klickte dann eine neue Seite an.
In dem Moment klingelte LaBréas Festnetztelefon. Franck griff nach seinem Handy und drückte eine Kurzwahltaste. Sie löste Alarm in der Technikabteilung ein Stockwerk tiefer aus, wo ein Mitarbeiter die Fangschaltung aktivierte.
Erst nach dreimaligem Klingeln nahm Franck den Hörer ab.
»Ja, hier Apparat LaBréa?«
Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand. Damit hatte Franck gerechnet. Wenn es der Geiselnehmer war, der anrief, würde er vielleicht gleich wieder auflegen, wenn er eine fremde Stimme hörte. Deshalb rief Franck laut: »Chef, Telefon für Sie!« Er lauschte in den Hörer. Das Gespräch war nicht unterbrochen worden. »Hallo?«, fuhr Franck fort. »Sekunde bitte, der Commissaire kommt sofort!« Um seinem kleinen Spiel Nachdruck zu verleihen, rief er noch einmal: »Chef! Telefon!« In dem Moment hörte er ein Klicken in der Leitung – der Anrufer hatte aufgelegt.
Fieberhaft überlegte Franck. Zehn Sekunden, fünfzehn Sekunden? Wie lange war der Anrufer in der Leitung geblieben? Er wählte die Nummer des Technikers.
»Achmed, habt ihr ihn? Ja?« Franck beugte sich gespannt vor. »Ach so … Scheiße! Ja, verstehe. Wahrscheinlich versucht er es gleich auf dem Handy vom Chef.« Er legte den Hörer auf und wählte LaBréas Privatanschluss.
»Chef? Gerade hat er hier angerufen. Doch, doch, die Zeit war ausreichend! Die brauchen nur zehn Sekunden, um den Anschluss festzustellen. Eine Telefonzelle an der Place de la République. Kann man wohl sagen, dass das Pech ist. Es bringt nichts, wenn wir jemanden hinschicken. Der ist längst weg und ruft sicher irgendwann von einer anderen Telefonzelle auf Ihrem Handy an. Also, bis dann, Chef.«
Franck legte den Hörer auf und atmete tief durch. Er war überzeugt davon, dass der Geiselnehmer heute Nacht keines zweites Mal auf LaBréas Dienstapparat anrufen würde. Dennoch beschloss Franck, noch eine Weile in LaBréas Büro zu bleiben und dort weiter im Fall Chambon zu recherchieren. Er seufzte. Als Polizeibeamter bei der Brigade Criminelle brauchte man eine gute Portion Geduld. Leider war Geduld noch nie Francks Stärke gewesen. Frustriert stand er auf und griff er nach dem letzten Stück Pizza. Es war inzwischen zu einer gummiartigen Masse erkaltet. Nur der Gedanke, dass er als Nächstes seine Freundin Eloïse zu Hause anrufen würde, hob seine Stimmung ein wenig.
17. KAPITEL
LaBréa legte die Akte zurück in das Sideboard. Er blickte auf seine Uhr. Gleich halb zehn. Der Geiselnehmer würde ihn sicher bald auf seinem Handy anrufen. Die Maßnahme bei LaBréas Handyprovider war veranlasst, der Anruf wäre in kürzester Zeit zurückzuverfolgen.
Das Glas Whisky, das LaBréa sich zur Beruhigung seiner Nerven eingeschenkt hatte, hatte seine erhoffte Wirkung ins Gegenteil verkehrt. LaBréas Herz klopfte zum Zerspringen, eine starke Spannung bemächtigte sich seiner. Mit dem Handy in der Hand lief er im Salon hin und her. Kater Obelix, der es sich inzwischen auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, blinzelte einige Male verschlafen, als fühlte er sich durch LaBréas Schritte gestört.
Hin und wieder blieb LaBréa stehen und warf einen Blick aus dem Fenster, das zu dem kleinen Garten hin lag. Der Regen schlug gegen die Scheiben, und erneut war Wind aufgekommen. Die Zwergzypresse wiegte sich heftig hin und her. Eine Nacht, in der man keinen Hund vor die Tür jagte. Eine Nacht, in der Céline an einem unbekannten Ort von einem skrupellosen Mörder gefangen gehalten wurde. War es Frédéric Douvry? Was wusste der Geiselnehmer von Céline? Hatte er sie gezwungen, die persönliche Beziehung zwischen ihr und LaBréa zu offenbaren? LaBréa hoffte inständig, dass seine Freundin einen Weg gefunden hatte, dies zu umgehen. Doch sie befand sich in einer Ausnahmesituation. Seit vielen
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