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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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Telefonzelle an der Métrostation Goncourt.«
    »Also ganz in der Nähe der Place de la République, von wo aus er auf meinem Dienstapparat angerufen hat!«
    »Richtig. Mit der Métrolinie 11 wäre das eine Station weiter Richtung Mairie des Lilas.«
    »Eine Métrostation … Danke. Um Mitternacht will er wieder anrufen.«
    »Wir bleiben die ganze Zeit in Bereitschaft.«
    LaBréa steckte das Handy in seine Hosentasche. Knapp eineinhalb Stunden blieben ihm, bis der Geiselnehmer wieder anrief. Würde er Céline wirklich mit LaBréa sprechen lassen? Natürlich nicht! LaBréa schlug sich an die Stirn. Wieso hatte er nicht gleich daran gedacht? Alle bisherigen Anrufe waren aus verschiedenen Telefonzellen gekommen. Der Mann hielt Céline irgendwo in einem sicheren Versteck. Ein Anruf von dort aus würde über ein Festnetz oder ein Handy erfolgen müssen. Beides riskante Vorgehensweisen. Der Bankräuber musste wissen, dass heutzutage jeder Anruf zurückverfolgt und auch jedes Handy geortet werden konnte. Das telefonische Gespräch mit Céline war nichts als ein leeres Versprechen gewesen, und LaBréa war darauf reingefallen. Er hatte seinen Verstand als Polizist ausgeschaltet, sonst wäre ihm dieser Schnitzer nicht passiert.
    Wir können nicht sämtliche Telefonzellen in der Stadt überwachen, hatte Leconte gesagt. Aber wenigstens die, die in der Nähe der Ausgänge der Métrolinie 11 lagen! Leconte schien mit der Situation völlig überfordert, und LaBréa beschloss, vorerst auf seine Hilfe zu verzichten. Er holte einen großen Métroplan aus dem Sideboard und breitete ihn auf dem Esstisch im Salon aus. Der Anruf des Geiselnehmers auf LaBréas Dienstapparat, den Franck entgegengenommen hatte, kam aus einer Telefonzelle an der Place de la République. Der Anruf auf dem Handy, kurz danach, von einem öffentlichen Fernsprecher an der Métrostation Goncourt. Das bedeutete, dass der Geiselnehmer sich innerhalb kurzer Zeit in nordöstlicher Richtung bewegt hatte. Mit einem Métrozug? Folgte man der Strecke der Métrolinie 11, so führte diese an der Porte des Lilas zum Boulevard Périphérique. Nach dem Wechsel des Fluchtautos war der Mann mit Céline Richtung Porte de Montreuil gefahren. Vorausgesetzt, er hatte seine Flucht tatsächlich über die Stadtautobahn fortgesetzt, konnte er diese theoretisch an einer der nächsten Ausfahrten in nördlicher Richtung verlassen haben: der Porte de Bagnolet oder der Porte des Lilas. Nur ein Zeitkorridor von maximal zehn Minuten war ihm geblieben, danach war die Stadtautobahn von der Polizei abgeriegelt worden. Er konnte Céline also irgendwo im 19. oder 20. Arrondissement versteckt halten, sich des Fluchtwagens entledigt und die Métro benutzt haben, um die Telefonzellen aufzusuchen. Dies alles war natürlich reine Spekulation. Doch es musste einen Grund geben, warum der Geiselnehmer aus zwei Telefonzellen angerufen hatte, die sich entlang der Métrolinie 11 befanden. Diese Linie führte von der Station Châtelet über elf Haltepunkte bis zur Mairie des Lilas, der Station hinter der Périphérique-Anschlussstelle Porte des Lilas.
    Sein Plan glich der Suche nach dem Tropfen Wasser in der Wüste – dennoch beschloss LaBréa, auf eigene Faust die Telefonzellen an den beiden Métrostationen genauer unter die Lupe zu nehmen und herauszufinden, ob es an den restlichen Haltepunkten der Linie 11 weitere öffentliche Fernsprecher gab. Um Mitternacht sollte der nächste Anruf des Geiselnehmers erfolgen. Sofern er aus demselben Umkreis kam, war LaBréa nicht weit. Wichtiger noch: Es würde seine Theorie bestätigen, dass Céline irgendwo in diesem Radius gefangen gehalten wurde.
    LaBréa zog warme Kleidung an und holte den dunklen Parka aus dem Garderobenschrank. Seine Waffe verstaute er in einer Seitentasche. Von einem seiner Besuche in den USA hatte er eine Baseballmütze der San Francisco Giants mitgebracht. LaBréa hatte sie nie getragen, er hasste Kopfbedeckungen. Jetzt aber schien sie äußerst nützlich. Der Geiselnehmer kannte ihn schließlich. Auch wenn die Chance, dass er ihm tatsächlich in dieser Nacht begegnete, etwa so groß war wie die Möglichkeit, den Lotto-Jackpot zu knacken, wollte er lieber vorsorgen. Er zog die Mütze tief in die Stirn. Ein Blick in den Flurspiegel zeigte, wie viel diese kleine Veränderung bewirkte. Es war verblüffend; wenn er den Kopf ein wenig senkte, war sein Gesicht unter dem Mützenschirm nicht zu erkennen. Die perfekte Tarnung in einer dunklen,

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