Der Lange Weg Des Lukas B.
gemacht und gingen ihm entgegen.
»Morgen brechen wir auf«, sagte er. »Wir ziehen in das Bergland hinein in nordöstliche Richtung. Mit Rückschlägen mussten wir rechnen. Dass wir gerade hier aufs Kreuz gelegt wurden, habe ich nicht erwartet. Ich zahle jedem von euch 25 Dollar. Das ist zwar nicht genug für eure Arbeit, aber mehr habe ich nicht.«
»Ich will kein Geld«, sagte der Lehrer. »Mitgefangen, mitgehangen.« Er blieb der Einzige, der auf den Lohn verzichtete. Den Jungen hatte der alte Mann von vornherein nicht mitgerechnet. An diesem Abend malten sie sich in den schwärzesten Farben aus, was sie mit Mr. Turber anstellen würden, wenn er ihnen je wieder über den Weg laufen sollte. Keiner aber übertraf die Strafen, die Jeremy vorschlug, obwohl er lediglich erzählte, was er von den Grausamkeiten wusste, die manche Sklaven vor der Befreiung wirklich erduldet hatten.
»Ihr glaubt mir nicht?«, schrie er böse, als die Zimmerleute über ihn zu lachen begannen, weil seine Phantastereien, wie sie meinten, erstunken und erlogen seien.
»Glaubt ihr denn, dass ein Massa 1852 seiner Haussklavin mit dem Brotmesser ein Ohr abschnitt?«
»Warum sollte er das getan haben?«, fragte Gustav Bandilla und lachte so, dass ihm die Tränen kamen.
»Es war das Ohr meiner kleinen Kusine Jessy Baker«, sagte Jeremy. »Sie hatte nichts verbrochen. Aber ihr Massa brauchte das Ohr eines Schwarzen. Er hat es in Ölpapier einwickeln lassen und es mit einer Extrapost der Missus Harriet Beecher-Stowe zugeschickt.«
Die Zimmerleute waren stiller geworden. Sie spürten, dass Jeremy keine grausamen Späße machte.
»Beecher-Stowe?«, fragte Lenski. »Wer ist Beecher-Stowe?«
»Sie hat ein berühmtes Buch geschrieben«, antwortete der Lehrer. »Die Leiden der Sklaven hat sie darin geschildert.«
»Onkel Toms Hütte«, ergänzte Mathilde.
»Was ist mit der Hütte?«, fragte Grumbach blöd.
»Ihr Buch heißt ›Onkel Toms Hütte‹.«
»Ach so«, sagte Grumbach. »Ich bin müde. Und Bücher lese ich sowieso nicht. Ich will schlafen.«
Den Tag über hatte der Junge versucht den alten Mann zu verteidigen und hatte die Männer daran erinnert, dass sie in Vicksburg an dem villeroyschen Haus alle gut verdient hatten. Aber insgeheim hatte er sich eingestehen müssen, dass der alte Mann leichtgläubig gewesen war.
Er ist auf einen grauen Zylinder und einen feinen Anzug hereingefallen, dachte er.
Otto Sahm hat gesagt, der alte Mann tut immer so, als ob er Gottvater stets neben sich sitzen hätte.
Der Junge grübelte lange darüber nach und der Gedanke, das genau könne auch seinem Vater nicht gefallen haben, schien ihm zum ersten Male nicht völlig verrückt zu sein.
Als sie die Wagen beluden, stellte sich heraus, dass Gustav Krohl und Otto Sahm ihre Bündel auf die Seite stellten. Sie wollten nicht weiter mitziehen. Der alte Mann schwieg, als sie es ihm sagten.
»Was wollt ihr denn, verdammt noch mal, allein in diesem Land anfangen?«, fragte Lenski erbittert.
»Was geht das dich an?«, schrie Otto. »Eine Stelle, in der wir für gute Arbeit schlecht bezahlt werden, die kriegen wir überall. Wir wollen auf eigene Faust unser Glück suchen.«
»Du gehst auch, Gustav?«, fragte der alte Mann. »Du hast doch schon länger als zwanzig Jahre mit mir zusammen gearbeitet und bist mit mir durch Russland gezogen. Du hast immer dein Brot verdient. Als die Tagelöhner auf dem Gut achtzehn Silbergroschen für zwölf Stunden Arbeit verdienten, Gustav, da hab ich dir schon jeden Abend einen Taler bar auf die Hand gezahlt. Hast du das alles vergessen, Gustav?«
Gustav Krohl antwortete: »Es ist nicht die Arbeit bei dir, Friedrich Bienmann. Auch dass wir hier aufs Kreuz gelegt worden sind, das ist es nicht. Vergessen hab ich gar nichts.«
»Dann versteh dich, wer will«, sagte der alte Mann.
»Hast du schon mal was vom Heimstattgesetz gehört?«, fragte Gustav ihn.
»Irgendwas für Farmer?«
»Ja. Hat die Regierung von Washington vor sechs oder sieben Jahren gemacht.«
»Und was geht euch Preußen ein Gesetz der Regierung von Washington an?«
»Wir wollen nach Colorado, Friedrich Bienmann. Ehemaliges Indianerland wird dort an Siedler abgegeben.«
»Mit 25 Dollar in der Tasche könnt ihr nicht viel Land kaufen«, spottete der Lehrer.
»Vierzig Morgen musst du als Siedler fünf Jahre lang bebauen, dann ist das Land dein Eigentum. Keinen Pfennig brauchst du dafür zu bezahlen und bekommst noch 120 Morgen dazu. Ohne einen
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