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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Franek Priskoweit, wenn du sagst, der Lehrer muss auf dem Sprung stehen?«, fragte Großmutter misstrauisch.
    »Na ja. Ich habe erzählen hören, er sei ein Politischer, ein Königshasser. Dort, wo er herkommt, hätten sie ihn auf der Liste stehen. Deshalb habe er sich hier in die Wälder verkrochen.«
    »Wer hat dir das gesagt, Franek Priskoweit?«, hakte der alte Mann nach.
    »Es wird eben erzählt.«
    »Wenn du nichts Genaues weißt, dann halte den Mund«, tadelte der alte Mann den jungen Zimmermann.
    »Bist sicher selbst auf die rote Mathilde scharf, Franek, wie?«, versuchte Lenski mehr aus ihm herauszubekommen.
    Aber der alte Mann beendete die Neckereien: »Hört auf mit dem Unsinn. Es gibt noch viel zu bereden.«
    Der Lehrer kam und hatte eine Landkarte mitgebracht. Sie suchten Nordamerika. Der alte Mann rechnete nach dem angegebenen Maßstab die Entfernung im Kopfe aus und die Männer staunten über das weite Land.
    »Sie sind in eine gute Schule gegangen, Meister Bienmann«, sagte der Lehrer voll Anerkennung. »Ich wünschte mir, meine Schüler könnten so rechnen wie Sie.«
    Der alte Mann lachte.
    »Für die Schule, Piet van Heiden, für die Schule hatte ich nicht viel Zeit. Meine Familie kam vor mehr als fünfzig Jahren in dieses Dorf, damals, als Napoleon nach Russland zog. Eigentlich wollte mein Vater weiter bis Moskau. Wir sind hier hängen geblieben. Eine Schule gab es zwar und ein Korporal von des Königs Soldaten war der Lehrer. Er hatte in der Schlacht bei Jena und Auerstätt mitgekämpft und dabei seinen rechten Arm verloren. Aber, ich sage euch, mit dem linken hat er das Abc in die Kinder hineingeprügelt.
    Bei mir hat er es allerdings nur einmal versucht. Mein Vater hat die kleine Axt geschultert, ist in den jämmerlichen Schuppen gegangen, der damals das Schulhaus war, und hat gesagt: ›Den Friedrich prügelst du nicht mehr, Soldat. Wenn von meinen Kindern eins den Buckel voll haben muss, dann mache ich das selber.‹
    Der Korporal besaß einen gewaltigen, strohblonden Schnurrbart. Die Kinder schauten zuerst auf diese Zierde des Mannes, wenn sie morgens in die Schule kamen. Stachen die Schnurrbartspitzen waagrecht weit über die roten Korporalswangen hinaus in die Luft, dann war der Lehrer guter Laune und die Kinder hatten nicht viel von ihm zu befürchten. Wenn er die Spitzen jedoch hoch gezwirbelt trug, dann standen die Zeichen auf Sturm und der Haselnussstock tanzte über Rücken und Köpfe.
    ›Willst du einem königlich-preußischen Korporal drohen, Zimmermann?‹, hat der Lehrer meinem Vater empört geantwortet, sich mit der Schulter an den Türpfosten gestützt und an einer Schnurrbartspitze gedreht. ›Damit du es weißt, Zimmermann, die Kugeln auf dem Schlachtfeld sind mir um die Ohren geflogen. Zehn Jahre habe ich den Rock des Königs getragen. Der König lässt seine Soldaten verprügeln, wenn sie nicht parieren. Der Kapitän prügelt widerspenstige Matrosen und ich werde, solange mir mein Schnurrbart nicht ausfällt, die faulen Schüler prügeln, wenn es Not tut, verstehst du? Der Anfang aller Weisheit ist die Furcht des Herrn.‹
    ›Lass die Bibelsprüche aus dem Spiel, Lehrer!‹, hat mein Vater geantwortet. ›Sie klingen aus deinem Mund wie des Teufels Gebetbuch.‹
    Der Lehrer lehnte den Kopf gegen den Türpfosten. Sein Schnurrbart zitterte vor Ärger. ›Wenn du dich nicht auf der Stelle fortmachst, Martin Bienmann, dann kriegst auch du meinen Knüppel zu ­spüren.‹
    Mein Vater machte eine gedankenschnelle Bewegung. Die Axt sauste in kurzem Bogen durch die Luft und die Schneide fuhr dicht neben dem Kopf des Korporals in den Türpfosten. Wie von einem Rasiermesser abgeschnitten, sank der ganze Korporalstolz dahin und die schön geschwungene Schnurrbartspitze fiel auf die Schwelle. Der Korporal wurde vor Schreck zuerst leichenblass, dann schoss ihm das Blut vor Wut in den Kopf.
    ›Das wirst du mir büßen, Zimmermann‹, hat er ganz heiser geflüs­tert und niemand hätte es für möglich gehalten, dass seine Polterstimme jemals so leise zu wispern im Stande war.
    Mein Vater ist nach Hause gekommen und hat sich lange mit meiner Mutter in der Stube eingeschlossen und beraten. Meine Mutter brauchte von dem Tage an nicht mehr mit hinaus aufs Feld. Außerdem nahm sie kurze Zeit später ein masurisches Mädchen in Dienst. An den langen Winterabenden hat sie uns Kindern dann Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Den Rest habe ich von meinem Vater auf dem Bau gelernt. Eine

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