Der Lange Weg Des Lukas B.
Schule jedenfalls habe ich nicht mehr von innen gesehen.«
»Konnte Ihre Mutter denn lesen und schreiben?«, fragte der Lehrer.
»Und ob sie das konnte. Sie war eine geborene von Herzberg und hat ihre Kindertage in einem Herrenhaus im Hannoverschen verbracht. Eine englische Kinderfrau und ein Hauslehrer haben sie unterrichtet.«
»Ihre Mutter war eine von Herzberg?«
»Ja«, sagte der alte Mann und man merkte, dass er stolz auf die adelige Herkunft seiner Mutter war. »Aber das ist eine andere Geschichte, die uns weit von Amerika wegführt.«
»Ja, Friedrich Bienmann, lass die alten Geschichten heute. Wir haben wichtigere Dinge im Kopf«, sagte Lenski.
Die anderen Männer, die auch ihre Gedanken statt in die Vergangenheit lieber in die Zukunft richten wollten, nickten zustimmend.
»Wie ist eine Adelige dazu gekommen, einen Zimmermann zu heiraten«, grübelte der Lehrer und dachte an den Grafen von Hundskuhlen, der in seiner Heimat seinen einzigen Sohn aus dem Hause gejagt hatte, als der nicht davon ablassen wollte, eine Bürgerliche zu heiraten. Aber bald war auch der Lehrer wieder mitten in den Gesprächen und wurde befragt nach Häfen und Schiffen, Preisen für die Überfahrt und nach tausend Dingen, so, als ob ein Lehrer alles wissen müsse.
»Ihr tut gerade, als wäre ich schon in Amerika gewesen«, wehrte er ab. »Ich kann euch nur sagen, dass die Dampfschiffe viel schneller sind als die Segler, dass die Überfahrt auf einem Segelschiff aber wahrscheinlich billiger sein wird. Bremerhaven und Hamburg sind die Plätze, von denen aus die Schiffe regelmäßig nach Amerika fahren.«
»Nicht von Königsberg aus und nicht von Danzig?«, fragte Lenski erstaunt.
»Mein Bruder Bruno ist von Danzig aus gesegelt«, sagte Warich.
»Mag sein, dass von dort aus das eine oder andere Schiff nach drüben segelt«, gab der Lehrer zu, »aber eine regelmäßige Linie gibt es von den Ostseehäfen nicht nach Nordamerika.«
»Wie teuer wird so eine Fahrt wohl sein, Herr Lehrer?«, bohrte Lenski.
Der Lehrer zuckte die Schultern.
»Lass den Gerhard Warich die Briefe holen, die Briefe, die sein Bruder Bruno aus Amerika geschrieben hat. Vielleicht werden wir dann mehr erfahren«, schlug Franek vor.
»Geh und hol die Briefe, Luke«, stimmte Warich zu. Der Junge rannte los und dachte: Hoffentlich öffnet mir die Lisa. Er musste hart gegen die Tür des Nachbarhauses schlagen, ehe sich drinnen etwas rührte. Endlich fragte eine Frauenstimme: »Wer ist da? Ich schlafe längst. Wecke die Kinderchen nicht auf!«
»Ich bin’s, Frau Warich, der Luke. Ihr Mann schickt mich. Ich soll die Briefe vom Bruno Warich holen, die Briefe aus Amerika.«
Nach einer Weile öffnete sich die Tür einen Spalt und die Frau reichte ein dünnes Päckchen Briefe heraus.
»Sie spinnen mal wieder, die Männer«, knurrte sie und schloss die Tür.
»Nein, Frau Warich«, rief der Junge ihr zu. »Wir fahren in die Staaten.«
Es fiel ihm erst später auf, dass er wir gesagt hatte. Wir fahren in die Staaten. Seit er von Nathan das Bild gekauft hatte, wusste er, dass er alles daransetzen würde mit den Männern loszuziehen. In Königsberg oder in Danzig hatte Nathan das Medaillon aufgetrieben. Ein Seemann hatte es ihm angeboten. Königsberg und Danzig, das waren Städte an der Küste. Wer in eine Hafenstadt geht, dachte der Junge, der will nicht nach Rom und auch nicht nach Paris. Wer ein Segelschiff malt, der will vielleicht nach Amerika.
Die vier Briefe, die Bruno Warich in den drei Jahren geschrieben hatte, seit er weggegangen war, berichteten gar nichts von der Fahrt, außer dass er im ersten kurz erwähnte, er habe sich in Danzig eingeschifft und sei gut über den großen Teich gekommen. Die anderen Briefe schilderten das neue Land, die herrliche Stadt St. Louis und malten in rosigen Farben aus, welche Möglichkeiten einen tüchtigen Handwerker in den Staaten erwarteten.
»Einer von uns müsste nach Danzig fahren«, schlug Lenski vor.
»Er kann sich an Ort und Stelle erkundigen, ob noch ein Schiff von dort aus hinüberfährt.«
»Das erledige ich am besten selbst«, sagte der alte Mann. »Ich werde den Schlitten nehmen. Das Wetter scheint sich zu halten. Anfang nächster Woche breche ich auf.«
»Denk an deine Büchse, Friedrich Bienmann. Die Wölfe werden bald kommen«, mahnte Lenski.
»Hast Recht. Ich habe mich schon gefragt, wo sie in diesem Winter bleiben.«
»Würden Sie einen Begleiter mitnehmen?«, fragte der Lehrer. »Ich habe in Danzig
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