Der Lange Weg Des Lukas B.
etwas zu erledigen.«
»Ich denke, Piet van Heiden, die Schule soll am Montag wieder beginnen?«
»Das stimmt schon. Aber ich muss dringend nach Danzig und werde den Pfarrer bitten, dass er mir ein paar Tage Urlaub gibt.«
»Unser Pfarrer ist alt und milde. Er ist, Piet van Heiden, eine nachsichtige Schulaufsicht für Sie.«
»Das ist er. Sonst wäre ich auch wohl kaum hier«, murmelte der Lehrer.
»Kann ich auch mitfahren, Großvater? Ich war noch nie in der großen Stadt«, bat der Junge.
Der alte Mann schaute ihn an und antwortete: »Kann nicht schaden, Luke, wenn du ein Stück von der Welt siehst. Vielleicht lernst du mehr davon als in der Schule. Ich werde es mit deiner Mutter überlegen. Mit Pferden kannst du ja umgehen.«
Die Mutter nickte ihm vom anderen Ende der Stube her zu. Die Frauen hatten ihre Stühle dicht um den Herd gestellt. Der Junge ging zu seiner Mutter hinüber und hockte sich neben sie. Während die Gespräche der Männer am Kachelofen von Amerika auf die Alltagssorgen überwechselten, blinzelte der Junge, den Kopf an die Schulter der Mutter gelehnt, schläfrig in die allmählich dunkler werdende Glut, die durch die Ritzen der Herdplatte schimmerte. Die Mutter kraulte ihm die kurz geschorenen Haare. Er lächelte ihr zu. Großvater hat Recht, dachte er, sie ist wirklich schön. Er betrachtete sie lange. Ihr Haar, zu einem dichten Knoten geflochten, schimmerte gelb und um die wasserblauen Augen zogen sich feine Fältchen. Die Nase, schmal und gerade, sprang keck hervor. Das Kinn hatte eine kleine Kerbe. Er strich mit dem Finger darüber. »Die hab ich von dir geerbt«, sagte der Junge.
Sie schaute ihn erstaunt an, lachte dann und antwortete leise: »Hoffentlich nicht nur das Kinn.«
Der Lehrer löste sich aus der Männergruppe und fragte Mathilde, wie ihr die Arbeit auf dem Gut gefalle. Sie erzählte ihm halblaut, dass der Verwalter sie immer häufiger aus der Küche fortrufe, sehr zum Ärger der Mamsell. Sie müsse ihm mehr und mehr im Büro helfen.
»Seine Augen werden allmählich schwächer. Ich lese ihm vor, was in der Post steht, schreibe nach seiner Anweisung die Antwortbriefe und trage in das Hauptbuch ein, dass ein Knecht im Jahr dreißig Taler Lohn bekommt und ein Zimmermann in elf Stunden zweieinhalb Silbermark verdient.«
»Du hast schon als Kind eine Schrift gehabt wie gestochen, so schön«, sagte die Großmutter. »Aber vielleicht hat die Mamsell Recht, Tochter, und es ist besser, du hältst dich an die Kochtöpfe statt deine Nase in die Bücher zu stecken.«
»Ich meine, Mutter, ich höre Nelly reden. Sie mault mit dem Verwalter und sagt, er soll sich lieber einen Mann für die Arbeiten im Büro nehmen. Es würde sich für ein junges Mädchen nicht schicken, die Männerarbeit im Büro zu tun. Die Frauen gehörten aufs Feld oder in die Küche.«
Der Lehrer lachte und sagte: »Sie hat keine Ahnung, was Frauen alles tun können. Sie sollte mal in den Westen gehen. Dort machen die Frauen ganz andere Arbeiten. Ein Mädchen will sogar auf die Universität und dort Medizin studieren.«
»Verkehrte Welt«, knurrte die Großmutter.
»Aber mir gefällt es über den Geschäftsbüchern«, antwortete Mathilde. »Ich staune immer mehr, wie viel auf so einem großen Gut zu bedenken und zu schreiben ist. Neulich haben wir sogar einen Brief aus dem Königreich Sachsen bekommen. Es war eine Bestellung von fünf Fässern Schnaps aus unserer Brennerei.«
»Das meiste, was bei euch gebrannt wird, saufen die Männer und Frauen hier selbst«, sagte der Lehrer bissig.
»Lassen Sie ihnen den Schnaps. Jeder hat seine Sorgen und braucht einen Tröster«, sagte die Großmutter.
»Der Schnaps betäubt nur den Kummer, Frau Bienmann.« Der Lehrer wurde eifrig. »Es muss sich viel ändern, wenn der Kummer der kleinen Leute aufhören soll. Warum haben die Bauern hier so wenig eigenes Land? Die Bauernbefreiung liegt über fünfzig Jahre zurück. Aber gibt es hier wirklich freie Leute? Hat sie der Baron nicht alle in der Hand, alle, die in seinen drei Dörfern wohnen?«
»Was schimpfen Sie, Herr Lehrer, auf unsere Freiheit?«, sagte Marie. »Heute kann jeder glauben, was er will. Kein Gutsherr redet ihm hinein und nicht mal der König. Jeder kann gehen, wohin er möchte. Sie sehen, der Baron kann die jungen Leute nicht halten, die ins Ruhrgebiet ziehen, um dort ihr Glück zu versuchen. Keiner muss auf dem Gut anfragen, wenn er heiraten will, und wen er sich aussucht, das ist seine eigene Sache.
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