Der Lange Weg Des Lukas B.
neues Kartenspiel geholt, hat es mir in die Hand gedrückt und gesagt: ›Gib das dem Matrosen Ben McMahon. Charly soll sofort zu mir aufs Achterdeck kommen.‹
Zwei Stunden lang ist Charly bei ihm gewesen. Von dem Tage an brauchte er nur noch den halben Dienst zu tun. Die andere Zeit verbrachte er mit seinem Malzeug auf dem Achterdeck. Tja, Junge, das war eine lange Antwort auf eine kurze Frage.«
Die Wirkung des Alkohols schien nachzulassen. Hendriks Züge wurden schlaffer. »Ich muss jetzt schlafen«, sagte er, raffte sich auf und verschwand unter Deck.
Der Junge blieb nachdenklich zurück. »Maler also war Charly gewiss«, seufzte der Junge. »Aber dieser Charly rührte keine Karten an. Wenn es stimmt, was Hendrik erzählt hat.«
Er stand auf.
»Ich glaube, ich muss noch viel Schnaps besorgen, bevor ich alles über Charly weiß. Beim nächsten Mal werde ich mir meine Frage auf jeden Fall besser überlegen.«
Der Junge hatte gar nicht bemerkt, dass Piet van Heiden zu ihm getreten war. Er schrak zusammen, als der Lehrer ihn ansprach.
»Scheinst ja gut Freund mit dem Segelmacher zu sein?«
»Er kann viel erzählen.«
»Du hast rote Backen. Er hat dir sicher ein greuliches Seemannsgarn vorgesponnen.«
»Nein. Er erzählt Geschichten vom Leben auf dem Schiff. Was meinen Sie, Herr Lehrer, steckt im Kartenspiel der Teufel?«
»Wer redet solchen Unsinn?«
»Charly hat gesagt, die Karten bringen Menschen ins Unglück.«
»Wer ist Charly?«
»Ist ein Freund von Hendrik, dem Segelmacher.«
»Charly irrt sich, glaube ich. Kannst du dir vorstellen, dass der Pfarrer, dein Großvater, der Verwalter vom Gut und ich uns ins Unglück spielen, wenn wir ab und zu ein Spielchen dreschen? Oder dass der Teufel dabeisitzt, wenn der alte Döblin mit dem dicken Grumbach und Hugo Labus spielt?«
»Nein, aber . . .«
»Es ist wahrscheinlich genau andersherum, Luke. Wenn einer unglücklich ist, dann spielt er vielleicht aus Verzweiflung. Alles ist ihm dann gleichgültig. Er würde auch übers brüchige Eis laufen oder tollkühn von einer Klippe ins Meer springen. Aber ist das Eis vom Teufel oder sind die Klippen ein Teufelsding?«
»Nein.«
»Kein Aber?«
»Nein. Kein Aber.«
»Wenn ich an Mathilde denke, dann wird mir so, dass ich Karten spielen möchte, und alles wäre mir dann gleich«, sagte der Lehrer leise. »Je weiter wir von Danzig fort sind, desto eigenartiger kommt mir ihr schnelles Verschwinden vor. Sag, hat sie dir nicht irgendeinen Wink gegeben?«
Der Junge wurde rot. »Ich kann Ihnen nichts sagen, Herr Lehrer. Unsere Mathilde ist manchmal ziemlich sonderbar.«
»Wie meinst du das?«
Der Junge antwortete nicht und schüttelte nur den Kopf. Er ging ins Steerage, legte sich in die Koje und fingerte nach dem Brief.
»Morgen werden wir, wenn der Wind so günstig bleibt, die Küste von England sehen«, hatte Jonas gesagt.
Wenn England hinter uns liegt, dann kann ich dem Lehrer vielleicht mehr sagen, dachte der Junge.
Obwohl das Reißen in den Gliedern des alten Mannes nicht nachließ und diesem untrüglichen Zeichen in Liebenberg längst ein Unwetter gefolgt wäre, blieb die See zunächst nur leicht gekraust wie ein Streuselkuchen. Eine stete Brise trieb die »Neptun von Danzig« immer weiter nach Westen. Die steilen Kreidefelsen der englischen Kanalküste schimmerten im frühen Morgenlicht rosafarben und die Luft war so klar, dass die roten Dächer von Dover genau auszumachen waren. Eigentlich hätten Mannschaft und Passagiere an Bord zufrieden sein müssen. Aber da gab es eine geheimnisvolle Sache, die Ärger und Aufregung verursachte. Jonas, der Smutje, stürzte mit einem bis in die Glatze hinein roten Gesicht aus der Kombüse und redete aufgeregt auf den ersten Steuermann ein. Das tat er nicht gerade leise. Die Neuigkeit sprach sich schnell vom Achterdeck bis zum Vorschiff herum. In der Kombüse war eingebrochen worden. Nicht, dass bedeutende Dinge entwendet worden wären. Es fehlte lediglich ein Brot, allerdings eins von den Weißbroten, die nur den Offizieren und den Kajütengästen zugedacht waren. Ein paar Liter Kaffee waren ebenfalls verschwunden. Das wusste der Smutje genau, denn er hatte den Kaffee von der besseren Sorte in einer Kanne zurückgelassen, falls am Abend in der Offiziersmesse danach gefragt werden sollte. Nicht das, was gestohlen worden war, verdroß Jonas, sondern dass gestohlen worden war. Er sah in dem Diebstahl einen persönlichen Angriff auf seine Kochkünste. Broblow, der
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