Der Lange Weg Des Lukas B.
mir einen Gefallen und erwähne heute Abend den Kapitän nicht mehr«, bat der Lehrer und zog ein saures Gesicht.
»Der Käpten ist dabei, ihm das Mädchen auszuspannen«, kicherte Jonas.
Der Lehrer ließ sich auf eine Segeltuchrolle fallen und maulte leise vor sich hin, was nach »verdammtem Kahn« klang und nach »eingebildetem Fatzken«.
»Rede nicht so von unserem Kapitän, Mann«, sagte Hendrik ungewohnt energisch. »Er ist 34 Jahre alt und es wird Zeit für ihn, eine Frau zu heiraten.«
»Viel zu alt für Mathilde«, sagte der Lehrer. »Und außerdem hat sie versprochen, dass sie keinen anderen nehmen will als mich. Bevor sie auf seine Schmeicheleien und auf sein Schöntun hereingefallen ist, war alles einfach und klar für uns.«
»Wenn ich die Wahl hätte, ich wüsste, was ich täte«, sagte Jonas. »Wenn sie dich heiratet, was hat sie dann? Sie führt mit dir ein unstetes Leben, zieht mit einem Einwanderer durch die Staaten und wartet auf besseres Wetter in Preußen. Du kannst euren Kindern bestenfalls Flöhe ins Ohr setzen von Freiheit und Gleichheit, die du und deine Freunde bis jetzt in eurem Land nicht geschafft habt. Wo ist das Erbe, das du ihnen hinterlässt? Der Kapitän aber, der ist reich. Er wird in Dänemark ein schönes Haus kaufen, seine Kinder werden kluge Lehrer haben, werden Kaufleute sein und Schiffsoffiziere; einmal wird ihnen vielleicht ein Schiff gehören. Die Frau des Kapitäns wird in Sicherheit leben, in einer großen Familie zu Hause sein, Freunde werden aus und ein gehen. Was, Lehrer, hast du ihr zu bieten?«
»Ich liebe sie«, sagte der Lehrer leise. »Ich habe mich selbst zu bieten. Und wenn euer Kapitän für Monate über die Weltmeere schippert und sie sich nach ihm sehnt und bei jedem Sturm vor Angst vergeht, ist das etwa ein Leben für eine Frau? Ich liebe sie und würde nicht weggehen von ihr.«
»Nun, der Kapitän wird auch sagen ›ich liebe sie‹«, sagte der Segelmacher ruhig. Er schaute über seine Brille hinweg auf den Lehrer und es lag etwas wie Mitgefühl in seinem wässrigen Whiskyblick.
»Hast du ihr das gesagt, dass du sie liebst?«, fragte er.
»Sie weiß es.«
»So etwas kann man nicht oft genug sagen und nie sicher genug wissen. Du solltest es ihr sagen.«
»Soll ich hingehen und soll ihr sagen: ›Mathilde, ich liebe dich. Lass also den Kapitän mit seiner ›Neptun‹ allein segeln und komm mit mir?‹ Soll ich ihr das sagen?«
»Nicht schlecht. Jedenfalls viel besser, als wenn du den Brummbären spielst oder die gekränkte Leberwurst hervorkehrst. Du zeigst dich dann so, dass wenig an dir zu sehen ist, was ein Mädchen lieben kann. Sag ihr, dass du sie liebst. Oder besinn dich auf die zarten Zeichen der Liebe.«
»Eine Blume«, rief Jonas. »Schenke ihr eine Blume.«
Der Junge lachte. Der Lehrer nickte ihm zu und spottete: »Man braucht euch hier an Bord nur mit ein paar Spritzern Whisky zu begießen, dann springen für euch selbst aus diesen Holzbalken die Knospen auf.«
»Wart es ab, Mann«, rief Jonas, begeistert von seinem Einfall, und lief hinaus. Man hörte ihn in der Kombüse kramen. Er kehrte bald darauf zurück und hielt zwei dünne Holzstäbchen in der Hand, an denen oben ein braunes Stück Papier in der Größe eines Fünfmarkstücks befestigt war.
»Schöne Blumen«, sagte der Lehrer und lachte.
Der Koch hielt die Stäbchen ins helle Licht, zog die unteren Enden auseinander, wie man einen Zirkel öffnet, und klappte sie dann ganz herum. Aus den unscheinbaren Papierscheiben entfaltete sich ein herrliches Blütengebilde aus hauchdünnen Seidenpapieren in den verschiedensten Rotfarben.
»Zauberei«, sagte der Junge.
»Chinesische Zauberei«, bestätigte Jonas. »Ich habe mal auf einem Teeklipper in Hongkong einem Kuli geholfen, dem sein Lastbündel, das er schleppte, aufgeplatzt war. Er bedankte sich mit vielen Worten, von denen ich jedoch kein einziges verstand. Am nächsten Tag kam er noch einmal zu mir, verbeugte sich mehrmals und schenkte mir dieses kleine Wunder. Da verstand ich seine Sprache genau. Ich gebe dir diese Blume, Mann. Vielleicht spricht sie eine deutlichere Sprache als das, was dir über die Zunge kommt.«
Der Lehrer drehte die Stäbchen unschlüssig in der Hand. Ein wenig verlegen, aber schon halb überzeugt, sagte er: »Meint ihr wirklich?«
Die alten Männer redeten auf ihn ein. Endlich verließ er die Segelkammer. Als später der Junge ins Steerage kam, lagen auf Mathildes Schlafplatz die Stäbchen.
Es
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