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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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um ihren Hals und nestelte an dem Verschluss.
    Der Kapitän trat nahe an sie heran und sagte zu dem Lehrer: »Sehen Sie, man drückt die kleine Feder zurück und lässt die Öse einschnappen. Sie werden ihr helfen müssen, wenn sie die Kette tragen will.«
    »Wir danken Ihnen, Sir«, antwortete der Lehrer steif.
    Der Kapitän sprach lauter und sagte: »Glück wünsche ich Ihnen. Sie werden Glück brauchen.« Er legte die Hand an die Mütze und kehrte auf das Achterdeck zurück.
    »Er ist ein guter Mann«, sagte Mathilde leise. Sie spürte, wie die alte Eifersucht in Piet aufflammte.
    »Er ist ein guter Mann«, wiederholte sie bestimmt und schaute Piet in die Augen. »Ich weiß nicht genau, warum es mich zu dir zieht, warum ich mit dir gehe, Piet van Heiden. Aber dass ich mit dir gehe und nur mit dir, das weiß ich jetzt sicher.«
    »Das machen die kleinen Zeichen der Liebe«, kicherte der Junge und tippte mit dem Finger gegen die Papierblume.
    »Verschwinde, Grünschnabel«, fuhr Mathilde den Jungen an; über ihre Schulter hinweg zwinkerte der Lehrer ihm zu.
    Große und kleine Überseesegler, Flachboote, die vom oberen Mississippi gekommen waren, Raddampfer, Jollen und Barkassen füllten den Hafen von Lafayette mit pulsierendem Leben. Die Behörden kontrollierten die Papiere nur flüchtig. Der Hafenarzt stellte seine Fragen nach ansteckenden Krankheiten, nach Fiebernden, Verletzten, Toten. Und jede der beruhigenden Antworten des Kapitäns wurde mit einer Flasche Whisky bekräftigt. In der Tasche des Arztes befand sich genügend Platz das halbe Dutzend Flaschen zu verstauen. Als er nach einer Viertelstunde von Bord ging, hatte er keinen einzigen Passagier angesehen und die Totenscheine für die drei Verstorbenen ohne weitere Rückfragen ausgestellt. Die Zollkontrolle des Gepäcks wurde auf den nächsten Morgen verschoben, wenn die Habe der Passagiere ausgeladen und die Ladung der »Neptun« gelöscht werden sollte.
    Fast alle Passagiere drängten sich über die Pier an Land.
    »Komisches Gefühl in den Beinen«, lachte der Junge. Er war längst nicht der Einzige, der sich breitbeinig und mit wiegenden Schritten erst wieder an den festen Boden unter den Füßen gewöhnen musste.
    Zum ersten Male sah der Junge Neger: Männer, Frauen, Kinder, starke und zierliche, tiefschwarze oder milchkaffeebraune, zerlumpte und elegante, solche, die unter schweren Lasten schwitzten, und andere, die träge umherstanden.
    »Gestern noch Sklaven, heute freie Menschen«, sagte der Lehrer und schwärmte: »Sieht man es ihnen nicht an? Sieh, Luke, wie stolz sie über die Straße schreiten.«
    Doch der Junge konnte nichts von dem erkennen, was der Lehrer offenbar sah. Im Gegenteil, er stellte sogar mit Verwunderung fest, dass selbst jene Schwarzen, die Lasten schleppten, für die Weißen, die ihnen begegneten, den Weg freimachten und dass diese das für selbstverständlich hielten.
    Der alte Mann wurde von einem stutzerhaft gekleideten Herrn, der einen hohen Seidenzylinder und einen schwarzen Gehrock trug, angesprochen: »Sie sind Deutscher, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete der alte Mann.
    »Ich bin Agent. Ich könnte Ihnen Land beschaffen, herrliches Weideland in Oregon zum Beispiel.«
    »Wir wollen kein Land. Wir sind Zimmerleute. Wir suchen Arbeit.«
    »Oh, dann pardon, bitte. Ich bin in erster Linie Agent für Grund und Boden.«
    Er wandte sich anderen Aussiedlergruppen zu. Doch während die Bienmanns noch dem geschäftigen Leben zuschauten und sich nicht aus der Sichtweite der Masten wegtrauten, kam er verdrossen zurück.
    »Kein Geschäft zu machen heute«, sagte er. »Die jungen Männer ziehen in die Kneipen und die besonnenen sind in festen Händen, haben alles weitsichtig geregelt.«
    »Schon lange in den Staaten?«, fragte Piet, weil er aus dem Deutsch des Agenten deutlich den amerikanischen Akzent heraushörte.
    »Ein paar Jahre nach der Revolution 48 bin ich rübergekommen. Ich stamme aus dem Badischen.«
    Er schaute noch einmal enttäuscht zur »Neptun« hinüber, sagte aber dann: »Schon Pläne, Gentlemen?«
    »Am liebsten würde ich mich jetzt rundum satt essen, ein großes Glas frisches Wasser trinken, einen Apfel schälen und . . . «, sagte Mathilde.
    »Kommen Sie mit mir«, bot der Agent an. »Ich heiße Johnny Schillinger. Ich habe auch Hunger. Lassen Sie uns in das französische Viertel gehen. Dort versteht man etwas von der Küche.« Unter seiner Führung gelangten sie in enge Straßen. Schöne Steinhäuser standen zu

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