Der Lange Weg Des Lukas B.
hervor und stellte sie vor Hendrik auf den Boden. Der nahm sie und wog sie in der Hand.
»Woher hast du denn den Schatz, Junge?«
»Ich habe mir diese Flasche verdient. Der Kapitän hat sie mir gegeben.«
»Phantastischer Whisky«, lobte Hendrik und ließ die Flasche am Kopfende seines Lagers unter einem Kissen verschwinden.
»Er ist also dein Vater«, seufzte er. Der Junge nickte.
»Ich muss es zugeben«, fuhr der Segelmacher fort, »die Mosaiksteine passen gut zueinander und ergeben ein klares Bild. Aber da ist noch etwas, was du nicht begreifst.« Er zog die Flasche wieder hervor und trommelte mit den Fingern gegen das Glas. »Dabei ist es ganz einfach zu verstehen. Charly war hier an Bord zum ersten Male in seinem Leben ganz auf sich allein gestellt. War zum ersten Mal ganz er selbst. Er entdeckte sich neu, kam dahinter, dass er den wirklichen Charly in seinem Dorf hinter hundert Masken versteckt hatte. Und der Charly, den er gespielt hatte, der war eine taube Nuss. Er hat es gewusst, dass ihn alle für einen Versager gehalten haben. Er hat es gespürt in den Blicken der Nachbarn, in der Angst des Vaters, vielleicht sogar in den Armen seiner Frau, als er aus dem Polnischen mit dem zerrissenen Ohr zu ihr zurückgekrochen kam. Wundert’s dich, dass er dann bei der Flasche Trost suchte? Dass er die leichten, schnellen Siege im wilden Spiel zu finden hoffte? Und mit einem Male war er ganz unten. Ohne Haus, ohne Frau, ohne dich. Ganz allein. Und das war, glaube ich, der Augenblick, in dem er erkannte, dass nur er allein sich selbst helfen konnte. Einmal hat er genau an der Stelle gehockt, an der du jetzt sitzt, und hat gesagt: ›Beweisen werde ich es allen. Dem Baron zahl ich’s mit Zins und Zinseszins zurück. Nach Berlin werd ich ziehen oder in den Süden. Und Maler werde ich sein, nichts als Maler.‹«
»Hat er nie genauer darüber gesprochen, wie er es in den Staaten schaffen wollte?«
»Er war ja vorher nicht dort, Luke. Wie sollte er wissen, was kommt. Ich habe ihm hie und da einen Rat gegeben. Aber ob er sich daran gehalten hat, was weiß ich.«
»Was waren das für Ratschläge, Hendrik?«
»Junge, du verlangst von einem alten Segelmacher viel.« Er zog den Korken aus der Flasche, verrieb einen Tropfen Whisky auf dem Handrücken und sog den Duft ein.
»Ein köstlicher alter Whisky.« Er nahm einen Schluck.
»Du musst dich erinnern, Hendrik«, drängte der Junge.
»Also, was hab ich ihm gesagt? Geh in den Osten, hab ich ihm gesagt. Der Süden hat den Krieg verloren und Besiegte können keine Bilder bezahlen. Kauf für all das Geld, das du hier an Bord verdient hast, in Texas Longhorn-Rinder und schließe dich als Koch einem Trail nach Norden an. In Texas kriegst du ein Rind für’n Dollar nachgejagt und die Menschen im Osten sind scharf auf das Fleisch und zahlen dir ‘nen anständigen Preis. Du vervielfachst dein Geld, wenn du Glück hast und der Trail das Ende der Eisenbahnlinie erreicht, die in die großen Städte im Osten führt. Und wenn du Pech hast und der Trail in der Wüste stecken bleibt, wenn die Rinder vor Durst in die Knie sinken oder die Indianer die Herde überfallen oder eine Horde Gangster die Rinder wegtreibt, dann bekommst du den Lohn als Koch dennoch ausbezahlt. Du bist nicht viel ärmer als zuvor und gelangst in den Norden. Das hab ich ihm geraten. Aber was er daraus gemacht hat, das weiß ich nicht.«
»Es hört sich an, als ob du selbst schon lange in den Staaten gelebt hast, Hendrik. Woher weißt du das alles?«
»Unser Schiff wurde damals nach Charleston getrieben, das hab ich dir schon erzählt. War ‘ne schlimme Reise. Nun, da haben wir ein paar Yankees als Passagiere mitgenommen, die auf bequeme Weise in die Südstaaten wollten und denen der Weg über Land so kurz nach dem Krieg zu gefährlich erschien. Einer von denen wollte genau das machen, was ich Charly später riet. Er hat’s mir haarklein auseinander gelegt. Klang alles sehr plausibel. Später hat er oft mit Charly zusammengehockt, aber ob sie gemeinsam Pläne schmiedeten, das weiß ich nicht.«
Sie schwiegen eine Weile. Wortfetzen drangen in die Segelkammer.
»Jonas hat Besuch«, sagte der Junge.
Bald darauf näherten sich Schritte. Der Lehrer und der Smutje traten ein.
»Stören wir?«, fragte der Lehrer. Er hatte ein gerötetes Gesicht und seine Augen glitzerten vom Rum.
»Nur herein«, lud der Segelmacher sie ein. »Ihr habt wohl des Käpten besten Whisky gerochen, ihr Feinschmecker, wie?«
»Tu
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