Der lange Weg zur Freiheit
die hinteren Plätze einnahmen, wenn ein Weißer am Steuer saß. Justice saß direkt hinter der Frau, ich hinter dem Fahrer.
Justice war ein freundlicher, redseliger Mensch, und während der Fahrt begann er, auf mich einzureden. Dies machte die Frau äußerst nervös. Augenscheinlich war sie völlig unerfahren im Umgang mit Schwarzen, die gegenüber Weißen keine Hemmungen hatten. Schon nach wenigen Meilen forderte sie Justice auf, den Platz mit mir zu tauschen, so daß sie ihn im Auge behalten konnte, und von diesem Moment an beobachtete sie Justice wie ein Falke. Aber nach einer Weile konnte sie Justices Charme wohl doch nicht widerstehen, und sie lachte gelegentlich sogar über manche seiner Worte.
Um ungefähr zehn Uhr abends sahen wir in der Ferne eine schimmernde Helle, ein Labyrinth aus glitzernden Lichtern, die sich in alle Richtungen zu erstrecken schienen. Elektrizität war für mich immer ein Luxus gewesen, und hier gab es eine riesige Landschaft aus Elektrizität, eine Stadt aus Licht. Endlich sah ich Johannesburg, und ich war furchtbar aufgeregt. Dies war die Stadt, über die ich seit Kindertagen soviel gehört hatte. Johannesburg war mir immer als eine Stadt der Träume geschildert worden, als ein Ort, wo aus einem armen Bauern ein reicher Emporkömmling werden konnte, eine Stadt der Gefahren und der Chancen. Ich erinnerte mich an die Geschichten, die uns Banabakhe in der Beschneidungsschule erzählt hatte: von Gebäuden, die so hoch waren, daß man ihre Dächer nicht sehen konnte, von Massen von Menschen, die in Sprachen redeten, von denen man noch nie gehört hatte, von stromlinienförmigen Autos und wunderschönen Frauen und verwegenen Gangstern. Es war eGoli, die Stadt des Goldes, wo ich schon bald zu Hause sein würde.
In der Peripherie der Stadt wurde der Verkehr viel dichter. Noch nie hatte ich so viele Autos gleichzeitig auf einer Straße gesehen – nicht einmal in Umtata, wo es höchstens eine Handvoll Autos auf einmal gab; und hier schienen es Tausende zu sein. Wir fuhren eher um die Stadt herum als durch sie hindurch, doch ich konnte ihre Silhouette sehen, die hohen, blockartigen Gebäude, die noch dunkler waren als der dunkle Nachthimmel. Ich sah auch die riesigen Tafeln am Rande der Straßen mit der Reklame für Zigaretten und Schokolade und Bier. Alles wirkte so glanzvoll.
Dann gelangten wir in ein Viertel mit eindrucksvollen Villen, von denen selbst die kleinste größer war als der Palast des Regenten in Mqhekezweni, mit großen Rasenflächen davor und hohen eisernen Toren. Dies war der Vorort, wo die Tochter der alten Dame wohnte, und wir bogen in die lange Auffahrt eines dieser schönen Anwesen ein. Justice und ich wurden zum Gesindeflügel geschickt, wo wir übernachten sollten. Wir dankten der alten Lady und machten uns davon, um auf dem Fußboden zu schlafen. Doch die Verheißung Johannesburgs war so erregend, daß ich das Gefühl hatte, in einem wunderschönen Federbett zu schlafen. Ich hatte, wie es schien, das Ende einer langen Reise erreicht. In Wahrheit war dies jedoch der allererste Anfang einer sehr viel längeren und weitaus mühsameren Reise, die mich Prüfungen unterwerfen würde, die mir damals unvorstellbar gewesen wären.
2. Teil
Johannesburg
Es dämmerte noch, als wir das Gelände der Crown Mines erreichten, die sich auf dem Plateau eines großen Hügels befanden, von dem man hinabblickte auf die noch im Dunkeln liegende Metropole. Johannesburg war rapide gewachsen, nachdem man 1886 in dem Witwatersrand Gold entdeckt hatte, und die Crown Mines waren die größte Goldmine in der »Stadt des Goldes«. Ich erwartete, ein eindrucksvolles Gebäude zu sehen, ähnlich den Regierungsbüros in Umtata, doch die Büros der Crown Mines waren in verrosteten alten Blechbuden untergebracht.
An einer Goldmine ist nichts Magisches. Sie ist ein öder, pockennarbiger Ort, überall Dreck und nirgends Bäume; auf allen Seiten abgesperrt, ähnelt sie einem Schlachtfeld. Der Lärm war gewaltig und allgegenwärtig: das Rasseln von den Aufzugsschächten, das Rattern der Bohrmaschinen, das ferne Rumpeln des Dynamits, die gebellten Befehle. Wohin ich auch blickte, überall sah ich schwarze Männer in staubigen Overalls, müde und krumme Gestalten. Sie wohnten auf dem Gelände der Mine in öden Baracken nur für Männer, mit Hunderten von Betonpritschen, die nur wenige Zentimeter voneinander getrennt waren.
Die Goldförderung auf dem Witwatersrand war eine kostspielige
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