Der Lavendelgarten
anderen vorlege.« Alex fuhr Sebastians Computer hoch und gab das Passwort ein.
»Woher kennen Sie sein Passwort?«
»Wenn Sie mit jemandem zusammenwohnen, der darauf aus ist, Ihnen das Leben zur Hölle zu machen, wissen Sie solche Dinge. Besonders wenn Sie so wenig zu tun haben wie ich«, fügte er hinzu. »Außerdem kenne ich meinen Bruder in- und auswendig. Man muss kein Genie sein, um sein Passwort zu erraten.«
»Heißt es zufällig ›Matisse‹?«
»Gute Arbeit, Sherlock.« Alex grinste. »Seb gibt sich wenig bis gar keine Mühe, seine Spuren zu verwischen, weil er von seinen Fähigkeiten als Lügner überzeugt ist.« Alex druckte einige Seiten aus und reichte sie Emilie. »Beweisstück B.« Er deutete auf ein Ölgemälde seiner Großmutter an der Wand. »Würden Sie das bitte für mich runternehmen?«
Emilie tat, wie ihr aufgetragen. Dahinter kam ein kleiner Safe zum Vorschein.
»Wenn er die Zahlenkombination nicht verändert hat, was ich bezweifle, ist sie der Geburtstag meiner Großmutter.« Alex streckte sich nach dem Zahlenschloss an der Vorderseite des Safes und drehte es vorsichtig. »Hoffentlich hat Seb das, was ich Ihnen zeigen möchte, nicht herausgenommen«, sagte er, als er in den Safe griff. Kurz darauf zog er einen wattierten Umschlag und ein kleineres weißes Kuvert heraus. »Beweisstücke C und D«, erklärte er, als er den Safe zumachte und Emilie bedeutete, das Bild wieder an Ort und Stelle zu hängen. »Ich würde vorschlagen, dass wir zu mir gehen, für den Fall, dass der Beschuldigte gerade auf der Autobahn hierherrast, um seine Ehe zu retten oder besser gesagt seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Außerdem ist es bei mir deutlich wärmer.«
Nachdem Alex den Computer heruntergefahren und den Drucker ausgeschaltet hatte, verließen sie das Arbeitszimmer. In seinem Bereich bat Alex Emilie, die vier Beweisstücke nebeneinander auf das Beistelltischchen zu legen. »Okay, Em.« Er sah sie an. »Ich fürchte, das wird jetzt unangenehm.«
»Das ist mir egal, Alex. Ich möchte die Wahrheit erfahren.«
»Gut. Werfen Sie einen Blick in die Mappe.«
Als Emilie sie aufschlug, erkannte sie ihr eigenes und das Gesicht ihrer Mutter – Fotos aus französischen Zeitungen, die über den Tod ihrer Mutter berichteten und Emilie als Alleinerbin nannten.
»Öffnen Sie nun bitte den Umschlag aus dem Safe und holen Sie heraus, was sich darin befindet. Vorsicht, alt.«
Emilie nahm ein Buch heraus. » Die Herkunft französischer Obstsorten . Von Jacques weiß ich, dass mein Vater den Band Constance zur Erinnerung an Frankreich mitgegeben hat. Das Buch, das Sie in der hiesigen Bibliothek nicht finden konnten.«
»Genau. Schlagen Sie es bitte vorsichtig auf und lesen Sie, was auf der ersten Seite steht.«
»Édouard de la Martinières. 1943. Und?«
»Moment. Ich muss noch etwas holen.« Er verließ den Wohnbereich, kehrte kurze Zeit später zurück und reichte ihr ein Kuvert. »Ein Brief meiner Großmutter an mich. Sie hat ihn kurz vor ihrem Tod bei ihrem Anwalt hinterlegt. Wahrscheinlich um sicher zu sein, dass Seb ihn nicht unterschlägt. Kann man ihr nicht verdenken, was?« Er lachte.
Emilie begann zu lesen.
Blackmoor Hall, 20. März 1996
Lieber Alex,
ich schreibe Dir diesen Brief in der Hoffnung, dass Du eines Tages nach Blackmoor Hall heimkehrst, obwohl ich mich inzwischen damit abgefunden habe, dass das möglicherweise nicht mehr zu meinen Lebzeiten geschieht.
Mein lieber Enkel, jetzt begreife ich, warum Du das Gefühl hattest, von hier wegzumüssen. Ich möchte mich entschuldigen, dass ich nicht erkannt habe, was mit Dir passiert. Ich fürchte, ich habe Dich im Stich gelassen, als Du mich gebraucht hättest. Aber ich konnte einfach nicht glauben, dass Dein Bruder, den ich ebenfalls aus tiefstem Herzen liebe, darauf aus ist, Dich systematisch zu vernichten.
Mein lieber Junge, hoffentlich kannst Du mir meine Zweifel an Dir vergeben. Dein Bruder hat mich oft genug an der Nase herumgeführt. Er ist längst nicht so intelligent wie Du, aber dafür ein äußerst gewiefter Lügner. Vielleicht hatte ich als Eure Großmutter und letztlich Mutter ein schlechtes Gewissen, dass ich Dich immer mehr geliebt habe als ihn. Wie sollte man Dich, diesen kleinen Engel, auch nicht lieben können?
Philip Larkin wünscht seinem eben zur Welt gekommenen Patenkind in einem Gedicht – »Normalität« – alles, was nötig ist, aber von nichts zu viel oder zu wenig. Jetzt begreife ich, was er meint. Denn Deine
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