Der Leberwurst-Mörder
beugt sie sich zu mir herunter, streichelt meinen Rücken, was sie zu beruhigen scheint, und beginnt zu erzählen.
Wir erfahren nun ein paar Dinge, die uns den Mord an Liane in anderem Licht sehen lassen. Zum besseren Verständnis geht die alte Dame weit in die Vergangenheit zurück, mehrere Hundeleben – bis in ihre eigene Kindheit.
Als Tochter eines Schneiders und einer Köchin wuchs Karoline in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater war ständig krank und starb, als sie zwölf Jahre alt war. Darum wollte Karoline unbedingt Krankenschwester werden. Im Krankenhaus, wo sie arbeitete, lernte sie Friedrich, einen jungen Arzt kennen, der sich in sie verliebte und ihr in aller Form einen Heiratsantrag machte. Friedrich stammte aus einer reichen, angesehenen Familie, die in der Stadt mehrere Häuser besaß. Sein Vater war ebenfalls Arzt und Professor an der Universität. Karoline sah tagtäglich im Krankenhaus, wie ehrgeizig, ja, fast besessen Friedrich zwölf und mehr Stunden arbeitete, und war der Meinung, dass der junge Arzt bereits mit seinem Beruf verheiratet sei. Daher sagte sie bei seinem Antrag Nein. Friedrich warb weiter um sie, doch Karoline blieb bei ihrer Entscheidung. Sie verdiente als Krankenschwester genug für ihren eigenen Lebensunterhalt, lebte sparsam in einer kleinen Wohnung unter dem Dach, die der von Liane nicht unähnlich war, und ging ebenfalls ganz in ihrem Beruf auf.
So kam es, dass sowohl Friedrich als auch Karoline ihr Leben lang unverheiratet blieben, auch wenn der Arzt, der später selbst Professor wurde, bis ins hohe Alter immer wieder um ihre Hand anhielt.
»Die große Überraschung kam, als vor fünfzehn Jahren Friedrich starb. Da er selbst kinderlos geblieben war, gründete er eine Stiftung, die sich um die Fortführung seiner medizinischen Forschung kümmern sollte. Diese Stiftung bekam Friedrichs gesamtes Barvermögen. Seine Immobilien jedoch vermachte er mir. Über Nacht besaß ich mehrere Häuser, die jeden Monat nicht unerhebliche Mieteinnahmen brachten.«
Karoline hält einen Moment inne. Ein verträumter Ausdruck huscht über ihr Gesicht und lässt sie fast wie ein junges Mädchen aussehen. »Er muss mich wirklich sehr geliebt haben. Vielleicht hätte ich sein Werben erhören sollen.«
Die alte Dame seufzt und setzt ihre Erzählung fort. Da sie keinem Kind ihre Liebe schenken konnte, kümmerte sie sich schon früh um Tiere, die keinen Menschen hatten. Die Erbschaft ermöglichte ihr, sich vorzeitig aus dem immer anstrengenderen Beruf zurückzuziehen. Sie zog in dieses Haus, und bald wurden, neben der Galerie, die herrenlosen Katzen auf der Straße zu ihrem wichtigsten Lebensinhalt. Karoline sammelte vor allem mutterlose Katzenkinder ein und brachte sie ins Tierheim.
So lernte sie Liane kennen, die im Tierheim arbeitete. Karoline war froh, dass die Dachgeschosswohnung gerade frei war, als Liane kurze Zeit später umziehen musste, und bot ihr diese an. Die Frauen freundeten sich immer mehr an, und vor wenigen Wochen fasste Karoline einen folgenschweren Entschluss.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass das die arme Liane das Leben kosten würde«, sagt sie mit zitternder Unterlippe, den Tränen nah.
Jule legt wieder einmal tröstend ihren Arm um die alte Dame, die sich einmal kräftig und gar nicht so damenhaft in ihr Spitzentaschentuch schnäuzt und fortfährt: »Ich wollte mein Erbe dem Tierheim hinterlassen, dann wären die armen Geschöpfe auf Jahre hin gut versorgt gewesen. Liane sollte sich um alles kümmern, sie hatte auch das Testament in Verwahrung. Ich ahnte ja nicht, dass ich sie überleben würde.« Wieder zittert ihre Unterlippe, und nun kullern tatsächlich ein paar Tränen ihre faltigen Wangen hinab. Einige Schluchzer später fasst sie sich wieder, und es sieht so aus, als wäre sie froh, sich endlich alles von der Seele reden zu dürfen.
»Ich habe als Gegenleistung von Liane verlangt, dass alle Kätzchen, die ich ins Tierheim bringe, innerhalb kürzester Zeit zu liebevollen Menschen kommen sollen. Damit habe ich sie wohl unter Druck gesetzt, denn sie wollte meinem Wunsch entsprechen, um das Erbe fürs Tierheim zu sichern. Ich bin, denke ich, schuld, dass sie sich als Mann ausgegeben und die Kätzchen an fremde Frauen verschenkt hat.«
Mara versucht nun auch, zu trösten, und berichtet, dass die beiden Freundinnen dieser Spur zwar nachgegangen sind, aber es nicht so aussieht, als habe eine dieser Frauen Liane getötet. Carla hat erstaunlicherweise
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