Der Leberwurst-Mörder
nicht knabbern dürfen. Frau Schmitz muss fast einhundert davon haben, eine Tatsache, die mich dank der zahlreichen Blüten mit ihrem seltsamen Duft nicht einschlafen lässt. Also döse ich ein wenig vor mich hin und werde unfreiwillig Zeuge eines Gespräches, das sich zunächst um Belanglosigkeiten wie Gallensteine, Diäten und Lieblingssendungen im Vorabendprogramm dreht, dann aber eine überraschende Wendung nimmt.
Während ich gerade darüber sinniere, dass diese Unterhaltung einem von Jules Kennenlern-Essen mit einem x-beliebigen Internet-Mann sehr ähnelt, fällt plötzlich ein mir bekannter Name.
Patullek! Genauer gesagt, Waldemar Patullek und im Folgenden nur noch Waldemar. Spricht Irene Schmitz wirklich von unserem Patullek, dem Hauptkommissar? Mit aufmerksam gespitzten Ohren verfolge ich, welches Loblied die Nachbarin hier gerade flötet. Sie hätten sich über das Internet kennengelernt, nein, nicht über so ein Onlinedating, sondern über ein Forum für Orchideenzüchter. Waldemar wäre dort der absolute Spezialist, von dem selbst sie noch etwas lernen könne. Und charmant sei er, wie sie gestern Abend feststellen durfte, als sie ihn zum Begutachten ihrer genau achtundachtzig Orchideen und zu Rindsrouladen mit Rotkraut eingeladen hatte. Dabei errötet sie tatsächlich ein wenig. Meine Güte, da hat sich doch nicht etwa unsere
Lieblingsnachbarin
in unseren
Lieblingskommissar
verliebt? Menschen sind doch immer wieder überraschend.
Wie sagten Flocke und Nino? Die Menschen ändern ihr Verhalten wegen des Geldes oder wegen der Liebe. Und wenn es nicht das eine ist, dann ist es eben das andere.
Irgendwann schlägt die große Standuhr in Irenes Flur laut und dumpf, sodass ich aus meiner Döserei erwache und Carla ebenfalls erschrocken aufspringt: »Was? So spät schon? Ich wollte doch Jule noch im Haus zur Hand gehen.«
Mit dem gegenseitigen Versprechen, diesen Kaffeeklatsch möglichst bald zu wiederholen, verabschieden sich die beiden Frauen, als wären sie seit Jahren beste Freundinnen.
Eine kleine Orchidee – selbst gezüchtet, wie Irene stolz betont – in der einen und meine lose Leine in der anderen Hand, überquert Carla die Straße und steuert auf Jules Haus zu. Ich folge ihr ohne Leine und habe vor, im nächsten Moment Jule schwanzwedelnd zu begrüßen, als ob wir uns drei Wochen nicht gesehen hätten.
Doch dann zieht plötzlich ein lieblicher, fast schon vertrauter Duft an meiner Hundenase vorbei. Leberwurst von Metzger Krumm! Moment mal, Metzger Rolf Krumm, der Neffe von Karoline und wahrscheinlich der Mörder von Liane. Ich kann gar nichts dafür, meine Beine schlagen wie von selbst eine andere Richtung ein, immer der Nase und dem Leberwurstduft folgend. Ich belle jetzt nicht, denn ich will den Duftträger unbemerkt einholen. Meine Schritte werden automatisch schneller, ich laufe, renne, höre im Hintergrund Jules Mutter rufen, doch das Rufen wird leiser und verstummt ganz, kaum dass ich um die nächste Straßenecke biege.
Da vorne ist er, der Duft, dem ich folge, und der Mann, der ihn verströmt. Ein stämmiger Kerl auf einem Fahrrad, mit dem er am Ufer des Stadtgrabens entlangradelt. Trotz der sommerlichen Temperaturen trägt er eine warme Jacke mit Pelzkragen. Seine Füße stecken in dicken schwarzen Schnürstiefeln und treten kräftig in die Pedale, dennoch komme ich ihm immer näher, denn ich bin ein schneller Hund. Auf der Jagd zu sein setzt ungeahnte Energiereserven in mir frei. Der Weg streift den Stadtpark, in der Ferne sehe ich die hellen Mauern des Tierheims durch das Grün der Bäume schimmern.
Gerade als ich denke, den Radler gleich erreicht zu haben, biegt er abrupt nach rechts ab, auf eine schmale Brücke, die über den Stadtgraben führt und eigentlich nur für Fußgänger vorgesehen ist. Zumindest sagt dies ein blaues Schild, auf dem ein großer und ein kleiner Mensch einander an den Händen halten. Ich höre eine Frau laut schimpfen, während ich fast an der Brücke vorbeischieße, so ein Tempo habe ich mittlerweile drauf. Am anderen Ufer schiebt im selben Moment eine kleine Frau einen breiten Zwillingskinderwagen auf die Brücke. Ihrem andauernden Geschimpfe entnehme ich, dass der Radler sie eben fast umgefahren haben muss. Leider ist der Kinderwagen so breit, dass ich mich, obwohl ich eine sehr schlanke Hündin bin, nicht daran vorbei traue. Ich habe nämlich Respekt vor Rädern aller Art, da ich bereits einige schmerzhafte Begegnungen mit ihnen hatte. Endlich ist
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