Der Leberwurst-Mörder
die Dame auf meiner Seite der Brücke angekommen, und ich warte brav am Rand des Weges, um sie vorbeizulassen.
Doch was tut sie? Bleibt stehen, beugt sich zu mir herab, streichelt meinen Kopf und sagt: »Hallo meine Hübsche, was machst du denn hier so allein?«
Sehr geschmeichelt von der freundlichen Anrede und vor allem davon, als Dame angesprochen zu werden, wedele ich mit dem Schwanz. Trotzdem versuche ich vorsichtig, mich an ihr vorbeizudrücken, ich habe doch eine Aufgabe, ich muss einen Mordverdächtigen verfolgen!
Als hätte sie mein Bellen verstanden, gibt die junge Frau den Weg frei: »Na dann, du weißt sicher, wo du hingehörst.«
Wo ist die Spur? Suchend bewege ich am anderen Ufer meine Nase über den Boden. Ah, da habe ich sie, Leberwurstduft! Nun aber schnell.
Ich renne jetzt wieder auf einem Radweg und muss dabei höllisch aufpassen, nicht von einem der Radler angefahren zu werden, die hier am Sonntagvormittag zahlreich unterwegs sind. Gepflegte Einfamilienhäuser säumen den Weg. Kleine bunte Häuschen mit winzigen Vorgärten und Blumenkästen an jedem Fenster weichen langsam immer größer werdenden, protzigen Villen, die sich hinter schweren eisernen Toren und Mauern verstecken. Ein hoher Maschendrahtzaun umgibt nach dem letzten Haus ein großes Grundstück.
Plopp, plopp … Ich höre Bälle hin- und herspringen. Die Tennisplätze sind um diese Zeit gut besucht, schwitzende Menschen laufen den Bällen hinterher, ich höre Lachen und Rufen.
Die Spur, der ich folge, führt am Zaun entlang. Ein großes Gebäude ragt neben mir auf, an dessen Ende eine Pforte den Weg zu den Tennisplätzen freigibt. Genau dort hinein muss der Mann geradelt sein, denn der Leberwurstduft weht um die Ecke. Schnüffelnd folge ich ihm, das heißt, ich versuche es.
Denn wie aus heiterem Himmel fährt mir ein kräftiger Schmerz in die rechte Seite. Ich fliege ein Stückchen seitwärts durch die Luft, knalle mit der linken Brust gegen einen Pfosten und weiß einen Moment lang nicht, welche Körperseite mir mehr wehtut. Während ich vor Schmerz aufjaule, sehe ich aus dem Augenwinkel etwas Dunkles auf mich zukommen und kann mich im letzten Moment durch einen gekonnten Rückwärtssprung in Sicherheit bringen. Wobei Sicherheit zu viel gesagt ist, denn schon wieder tritt ein dunkler Stiefel nach mir, und ich höre eine wütende Männerstimme brüllen: »Mach, dass du fortkommst, du dreckige Töle!«
Wäre ich ein Menschenwesen wie meine geliebte Jule, dann würden mir jetzt wahrscheinlich Tränen in die Augen schießen. Ich bin keine dreckige Töle, sondern eine edle Deutsch-Drahthaar-Dame!
Ich belle laut und springe nochmals ein Stück zurück. Aus diesem Abstand knurre ich meinen Angreifer wütend an. Das muss Rolf Krumm sein, der Hundehasser, wie mir Karolines Worte wieder in den Sinn kommen. Der Mann mit dem Leberwurstgeruch. Und da ist noch ein Geruch an ihm, den ich mir nicht erklären kann. Wieso riecht der Mann nach Schäferhund, wenn er doch Hunde nicht ausstehen kann? Ich belle weiter, immer wütender.
Vor mir steht ein wirklich böser Mensch, bestimmt hat er Liane umgebracht, jawohl. All meine Wut über den sinnlosen Mord und meinen Schmerz, den mir der Fußtritt zugefügt hat, lege ich in mein Bellen hinein.
Auf einmal spüre ich eine riesige Hand an meinem Hals. Sie umkrallt mein Halsband und zerrt mich nach hinten. Ein dickes Stück Stoff wird unsanft über meine Schnauze geschoben, ich höre einen Karabiner klicken. Vor Schreck vergesse ich zu bellen und sehe mich um. Im Hintergrund erkenne ich einen Streifenwagen. Zwei Polizisten in Uniform und mit dicken Lederhandschuhen stehen davor. Einer von ihnen hält die Leine fest, die mit dem Karabiner an meinem Halsband befestigt ist. So entschlossen, wie er schaut, und so breitbeinig und sicher, wie er dasteht, ist es sinnlos, auch nur an Flucht zu denken. Leider ist keiner von beiden Franco, der mich immer so lieb streichelt.
Stattdessen höre ich eine barsche Stimme sagen: »Dann komm mal mit, du Streuner!« Gleichzeitig werde ich in Richtung Streifenwagen gezogen.
Das Ding um meine Schnauze muss ein Maulkorb sein, es riecht nach unzähligen anderen Hunden und nach der Angst, die sie hineingeatmet haben.
Ich habe auch Angst. Wohin soll ich mitkommen? Was haben die Polizisten mit mir vor?
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Kapitel 17
Gefangen
Der Streifenwagen ist auch ein Kombi, so wie Maras Auto, nur viel größer. Im Kofferraum riecht es seltsam, nach anderen Hunden,
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