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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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manchen Tagen kam mir das Unterrichten wie ein Krieg vor. Ich hatte die Schüler zu Beginn des Schuljahres übernommen und kapitulierte nicht: Bis zum Juni würde ich Ruhe gebieten, Klassenarbeiten schreiben lassen, die Trägheit mit Strenge bekämpfen. An anderen Tagen war das Unterrichten toll, wir folgten Alexander dem Großen nach Ägypten, in die Türkei, durch Persien bis nach Indien; draußen regnete es, und wir merkten gar nicht, wenn die Pausenglocke ertönte.
    Freitags lehnte immer Gianni am Gittertor, wo er auf mich wartete, um mit mir Mittag essen zu gehen.
    »Na, Frau Lehrerin?«
    Polito zeigte sich am Fenster, pfiff uns nach, um sich über mich lustig zu machen.
 
    »Hat er schwarze oder blonde Haare?«
    Riccardi hält sich die Ohren zu. In Ordnung, ich rede nicht.
    Ich gehe zur Tafel und schreibe: ER HAT HELLE AUGEN .
    Und auf die andere Seite: ER HAT DUNKLE AUGEN .
    Riccardi hört auf zu schaukeln. Er ruft Lorenzo, aber der antwortet nicht. Da schreit er lauter, schlägt mit den Händen auf die Bank, springt hoch und baut sich vor Lorenzo auf.
    Alle beobachten ihn, reglos: Wir sind seine Geiseln.
    Mit schrecklicher Unruhe packt er Lorenzo am Kragen und zwingt ihn, das Gesicht zu heben.
    Er hat helle Augen.
    Befriedigt kehrt er an seinen Platz zurück. Er schreibt.
    Ich nehme wieder die Kreide in die Hand. Nur ganz kurz überlege ich.
    ER HAT EIN GELBES SWEATSHIRT AN .
    ER HAT EIN WEISSES SWEATSHIRT AN .
    Riccardi blickt zur Tafel hoch, schaut Lorenzo an, fasst sich an den Kopf und schreit.
 
    »Es war nicht deine Schuld«, sagt Silvia am Tag der Klassenkonferenz zu mir.
    »Versuch, ruhig zu bleiben«, höre ich von der Belcari ein paar Stunden später am Telefon.
    »Ich bin froh, dass du mich damals nicht hast rufen lassen«, erklärt mir De Lucia ein paar Monate später.
    »Da hätte ich auch losgeheult«, gesteht mir Anna an Weihnachten. »Es hat bestimmt niemand bemerkt.«
 
    Er schreit noch immer, als die Bank vor ihm krachend umfällt. Er brüllt, während ich durch die beiden mittleren Reihen verängstigter Klassenkameraden laufe und er mich mit ausgestrecktem Arm einholt. Ich versuche,den meinen zu heben, einen Schritt zurückzutreten, aber er ist schneller als ich. Er packt mich am Handgelenk, dreht es wie einen Schaltknopf. Er ist großgewachsen, sperrig, unkoordiniert, verrückt.
    Aus der Gruppe der Mädchen ertönt ein Schrei, dann nichts mehr. Sie fassen sich gegenseitig an den Händen.
    »Es ist alles in Ordnung«, sage ich, aber Riccardi schreit, um meine Stimme zu übertönen und sie zu niemandem sonst gelangen zu lassen. Er ist großgewachsen, sperrig, unkoordiniert, verrückt.
    »Beruhige dich, Andrea«, schaltet sich Silvia ein. Ich muss schnell nachdenken.
    »Du hast Recht, ich habe einen Fehler gemacht. Jetzt reicht es aber.«
    Ich habe ihn. Ich habe seine Hand in der meinen, drücke sie. Andrea zuckt zusammen, ist überrascht, verzieht die Lippen und bringt ein leises Stöhnen hervor, einen Klagelaut. Er ist größer und stärker als ich, aber im Grunde noch ein halbes Kind. Ich tue ihm weh.
    »Ok, ist schon gut. Ruhig jetzt.«
    Ich lasse ihn los.
    »Nicht weinen.«
    Riccardi hebt wieder den Kopf. Er weint nicht. Ich mache einen Schritt zurück, doch es ist schon zu spät. Die Hand, die ich losgelassen habe, zittert, mit der anderen reißt er den Filzstift hoch, kann es kaum erwarten, mir damit in die Augen zu stoßen.
 
    Ich konzentriere mich auf die Fliesen in der Mitte des Ganges. Das ist schwierig, weil sie nicht still liegen bleiben.
    Ein Schritt nach dem anderen, dann kommst du zur Tür, trällerte vor zweiundzwanzig Jahren meine Großmutter, damit ich die Angst überwand, wenn ich nachts aufstehen musste, um zur Toilette zu gehen, die sich am anderen Ende der Wohnung befand.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragt die Hausmeisterin, die mir entgegenkommt.
    Doch, würde ich gern antworten, es ist nur, weil der Turm heute Morgen gebebt hat. Wenn der Turm bebt, fällt irgendetwas herunter, zerbricht, stirbt.
    »Ich gehe nach Hause«, erwidere ich. Sie hält mich nicht auf.
    Die Schülerinnen sind vor die Klassenzimmertür getreten. Unter ihnen ist jene ganz niedliche. Ich weiß, sie hat als Erste aufgeschrien. Ich lasse mich von ihr anstarren, während ich weggehe und sie bleibt.
 
    »Wer war am Telefon?«
    Margherita hat zwei Flaschen Weichspüler in den Händen. Beide sind blau. Ich frage mich, nach welchem Kriterium ich wählen soll.
    »Eine Kollegin. Grazia«, sage

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