Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Espressomaschine, passe auf, nirgendwo anzustoßen und keinen Lärm zu machen.
»Ich mache Kaffee. Willst du auch eine Tasse?«
»Mit ganz viel Zucker. Danke.«
Der Schmerz in der Brust verlagert sich in den linken Arm. Irgendwann passiert es. Es ist wie bei einem Herzinfarkt, nur dass er nicht eintritt.
Der Kaffeelöffel zittert in meiner Hand, ein Schleier von Kaffeepulver breitet sich auf der Spüle aus.
Hör auf damit, denke ich. Es ist nur in deinem Kopf.
»Also, was hast du geträumt?«
Ich konzentriere mich auf die blaue Gasflamme, die auf dem kleinen Herd immer zu niedrig brennt.
»Es war ein ganz schöner Schrei. Elender Mist. Komm schon, lass hören: Was hast du geträumt?«
»Nichts von Bedeutung. Seit wann kennst du Margherita?«
»Seit einigen Monaten. Aber heißt das, dass du dich nicht erinnerst oder dass es dir irgendwie peinlich ist und du nicht darüber reden willst?«
Ich sehe ihn an. Er wartet tatsächlich auf eine Antwort.
»Schlangen«, höre ich mich sagen.
Auf etwas lächerliche Weise hebt er die Augenbrauen,dennoch scheint es ihm nicht zum Lachen zumute zu sein. Sein Blick wirkt schlau, der Blick eines Menschen, der alles verstanden hat.
»Schlangen sind ein Klassiker.«
»Ach ja?«
Ich reiche ihm die Espressotasse. Mit einer Extraportion Zucker.
»Was machst du beruflich, Savarese?«
»Rechtsberatung«, sagt er und nimmt einen Schluck.
Ich setze mich und rühre mit dem Löffelchen in meinem Kaffee.
»Und du kennst dich mit Träumen aus?«
»Mit Schlangen. Und Reptilien im Allgemeinen. Ich arbeite in einer sehr bedeutenden Kanzlei.«
»Witze über Rechtsanwälte sind schon ein wenig überholt, Savarese.«
Er leert seine Tasse und schnalzt mit der Zunge.
»Und die über die Klienten? Die Kategorie Schlangen ist parteiübergreifend, musst du wissen.«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr: Es ist Viertel nach drei. Ich suche nach dem Schmerz in der Brust und entdecke nur ein stechendes Unwohlsein auf der linken Seite. Ich muss zurück ins Bett, Schlaf finden.
»Verfolgen dich deine schrecklichen Reptilien auch, wenn du wach bist?«
»Nur eins.«
Savarese wirft mir wieder diesen listigen Blick zu. Er nimmt den Löffel und trommelt sich damit auf die Hand.
»Na, dann erzähl mal«, sagt er.
Als mich Riccardi zum ersten Mal in Klassenzimmer 9 sah, verzog er den Mund und stampfte mit dem Fuß auf.
»Nein! Nein!«
Als er anfing, gegen die Tischbeine zu treten, rollten Kugelschreiber und Buntstifte auf den Boden, erzeugten dumpfe Laute, wie Billardkugeln.
De Lucia ließ ihn ein Weilchen gewähren, dann gebot er ihm, sich hinzusetzen. Leise redete er auf ihn ein und legte ihm die Hand auf den Arm, um sich Gehör zu verschaffen.
Riccardi trat weiter um sich, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Andrea?«
Keine Fußtritte mehr. Nur ein genervtes Wehklagen.
»Wir sind hier, um zu lernen«, fuhr De Lucia fort. »Was sollte man auch sonst in der Schule machen?«
Andrea schaute zu mir hoch, aber ich hatte nicht den Mut, seinen Blick zu erwidern.
»Warte mal, verstehe ich das richtig: Dieser Junge ist nicht ganz richtig im Kopf. Und warum? Hört er Stimmen?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Das wissen wir nicht. Seine Diagnose ist noch nicht abgeschlossen.«
»Du hast gesagt, dass er autistisch ist, stimmt's?«
»Mehr oder weniger.«
»So wie Rain Man ? Telefonbücher auswendig lernen, Zahnstocher …«
»Nein, das ist Unsinn.«
Savarese fragt sich, ob ich ihn auf den Arm nehme. Aber in dieser Hinsicht ist mir Hollywood zuvorgekommen.
»Genies sind selten. Ausgesprochen selten. Die meisten Autisten sind geistig zurückgeblieben. Manchmal leicht, manchmal sehr stark.«
Savarese hört auf, mit dem Löffel herumzuspielen, und sucht nun auf dessen glänzender Oberfläche sein verkleinertes, verzerrtes Spiegelbild. Einen Moment lang erzeugt er in mir Schuldgefühle, als hätte ich schlecht über einen schutzlosen Jungen geredet.
»Es ist eine schlimme Krankheit«, sage ich. »Wahrscheinlich die schlimmste.«
»O ja, der arme Teufel«, stimmt Savarese zu, ohne die Augen vom Kaffeelöffel zu heben. »Aber er geht dir wahrscheinlich auch furchtbar auf die Nerven, oder?«
An den letzten fünf Mittwochen bestand meine Aufgabe darin, in Klassenzimmer 9 am Tisch mit dem aufgeschlagenen Klassenbuch zu sitzen und auf De Lucia und Riccardi zu warten.
De Lucia begrüßte mich jedes Mal, wenn er hereinkam. Riccardi schrie, versteckte sich hinter seinem Rücken und
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