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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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sie sind in der Überzahl und stärker als ich. Sie zerren mich die Straße entlang, schleppen mich ein Stück mit sich. Der Luftzug tut gut, denke ich unpassenderweise.
    Hinter dem Spruchband der Uni meine ich Fabio zu entdecken, aber ich verliere ihn sofort wieder aus den Augen. Weiter vor ihm, in der Gruppe der Lehrer, erkenne ich ein paar Kollegen.
    Die Tasche ist mir zu schwer, die Hand, mit der ich mir den Brustkorb massiere, bringt keine Erleichterung: Sie streichelt den Schmerz nur, liebkost ihn.
 
    »Ist das jetzt eine längere Geschichte?«, fragte mich Massimiliano.
    Ich antwortete nicht darauf. Es tat immer noch weh.
    Er zog das Päckchen Tabak hervor, wie stets, wenn es galt, sich in Geduld zu üben.
    »Als du mir erzählt hast, dass du mit Gianni zusammenleben willst, hielt ich das für ausgemachten Schwachsinn. Ich dachte, dass du es dir nicht reiflich überlegt hattest und es bereuen würdest«, sagte er, nachdem er eine Weile schweigend geraucht hatte. »Nach nicht einmal drei Monaten hast du mich dann gefragt, ob ich dir helfen könnte, wieder zu deinen Eltern zu ziehen, zumindest für eine Weile. Auch das hielt und halte ich immer noch für ausgemachten Schwachsinn. Und ich glaubte, dass du es bereuen würdest, sofern du das nicht schon getan hattest.«
    Er hatte Recht, aber das sagte ich ihm nicht. Ich ließ ihn ausreden.
    »Aber diese Sache mit Turin ist in meinen Augen der größte Schwachsinn, der ultimative, endgültige, der Inbegriff von Schwachsinn«, er rauchte seine Zigarette zu Ende, drückte sie aus. »Allerdings bin ich jetzt nicht so sicher, dass du es bereuen wirst.«
    Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, nur seine Stimme war ganz nah und seine Hand, mit der er auf die Motorhaube schlug.
    »Im Gegenteil. Ich bin überzeugt, dass diese Sache mit Turin eine Chance ist – eine Chance, glücklich zu werden. Und ich denke, du bist von allen Personen, die ich kenne, die einzige, die fähig ist, alles hinter sich zu lassen, nur um glücklich zu werden.«
 
    »Da bist du ja!«
    Margherita fasst mich am Arm und lächelt, als hätte sie mich stundenlang in der Menge gesucht.
    »Komm, gehen wir zur Spitze des Zuges«, sagt sie. »Ich mache gerade ganz tolle Fotos.«
 
    Sie haben dich nicht angerufen? Nicht einmal die Schule vom letzten Jahr?
    Nein.
    Noch nicht.
    Oder nicht mehr. Jetzt rufen sie nicht mehr an.
    Anna …
    Nein, ganz bestimmt nicht. Diese Scheißreform hat irgendwann angefangen, auch wenn es niemand gemerkt hat. Aber ein Ende ist nicht in Sicht.
    Heute Morgen schneit es. Mehr noch: Eine Art Schneesturm hat sich von den Bergen herab auf die Stadt gestürzt. Seit Tagen überzieht eine weiße Schicht die Gipfel der Alpen, dehnt sich nun aus und bedeckt den Boden, die Bäume, die Autos und die Häuser.
    Kaum habe ich die Schule betreten, gibt mir die Wärme meine Lebensgeister zurück, und meine Hände beginnen zu schmerzen. Ich bringe Mattia in Klassenzimmer 9 und schaue ihm, gegen den Heizkörper gelehnt, beim Schreiben zu. Er macht sich über mich lustig, weil ich friere, obwohl man es hier doch gut aushalten kann.
    Es gibt immer noch die Uni.
    Nein, die gibt es nicht.
    Hin und wieder peitscht Schneeregen gegen die Fensterscheiben, und Mattia hebt die Augen vom Blatt. Wir reden kein Wort, es ist nicht nötig. Beide wissen wir, dass wir eingeschlossen sind, dass die Schule von einem eisigen Wind belagert wird, einem Sturm, der unter den Türen, durch Ritzen und schlecht verschweißte Einfassungen dringt.
    Mattia würde nicht begreifen, wenn ich ihm sagte, dass dieser Wind von Rom ausging und zuerst den Süden, meine Heimat, erfasste. Er fror die Gelder ein, begrub die Gebäude unter sich, übertönte die Stimmen der entlassenen Grundschullehrer. Er trieb uns nach Norden und dann verfolgte er uns. Er hat uns gefunden.
    »Ok, das reicht.«
    Mattia händigt mir seine Arbeit aus, und ich schicke ihn in die Klasse. Für heute sind wir fertig. Ich räume meine Sachen in den Schrank, und als die Pausenglocke ertönt, trete ich auf den Flur hinaus.
    Erzähl mir lieber von dir. Wie läuft es mit Riccardi?
    Bestens.
    Toll, ich freue mich für dich. Es war schon richtig, dass du von hier weggegangen bist: Zeig ihnen, wer du bist.
    Die Bäume im Schulhof mühen sich vergebens, dem Wind standzuhalten, das Haupt zu erheben. Sie haben keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Ich suche nach dem nächstbesten Heizkörper, wärme mich auf und sehe sie leiden. Ich habe Glück.

7
    Ich hatte nicht

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