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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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gemein.
    »Ich weiß es nicht«, wiederhole ich. »Das hängt von der Arbeit ab. Von verschiedenen Dingen.«
    Papa neigt den Kopf, dann wendet er sich wieder seinem Teller zu. Vor dreißig Jahren zog er mit einer Frau zusammen, die er gerade geheiratet hatte. Er siedelte von seinem Heimatdorf in Kalabrien nach Neapel über, zahlte Monat für Monat die Wohnung ab, und jetzt gehört sie ihm. Er hat eine Anstellung beim Staat. Alles, was er je gemacht hat, war solide, ertragreich, entschieden. Sein Leben verlief nach Plan: Er versteht mich nicht.
    Meine Mutter steht auf, um Kaffee zu kochen. Der Fernseher läuft wieder; mein Vater hört resigniert zu, während ich merke, dass mir die Litanei der mit der Camorra zusammenhängenden Unglücksfälle zum ersten Mal nichts sagt.
    »Ich habe euch schon Zucker reingetan«, sagt Mama und stellt die dampfende Mokkatasse vor mich hin.
    Gianni ist das Wort, das keiner ausgesprochen hat. Noch nicht.
 
    »Ich muss noch mal kurz weg.«
    »Jetzt noch?«
    »Ja.«
    »Komm nicht zu spät nach Hause.«
    »Es ist schon spät.«
    »Dann komm nicht allzu spät.«
    »Warum?«
    »Was soll das heißen, warum?«
    »Warum kann ich nicht selbst entscheiden, ob es spät wird?«
    »Du bist noch nicht mal weg, und hast schon beschlossen, dass es spät wird?«
    Das Alter interessiert nicht, wenn man nach Hause zurückkehrt: Sobald man die Türschwelle betreten hat, ist man wieder das Kind und sie sind die Eltern. Nur ab und zu, wenn wir uns in die Küche oder in unser Zimmer zurückziehen, weil wir beleidigt sind wegen irgendeiner tadelnden Bemerkung oder uns nicht zu einer Entschuldigung für ein grundlos geäußertes verletzendes Wort durchringen können, beschleicht uns der Verdacht, dass wir keine Eltern und Kinder mehr sind, dass jene Zeit hinter uns liegt, dass wir zu einem anderen Verhältnis finden sollten, dass wir dieses Theater nur deshalb jedes Mal aufführen, weil wir nicht wissen, wie wir uns sonst verhalten sollen.
    Die Straßen sind voller Menschen. Ich lasse die Menge, die sich in der Innenstadt zusammendrängt, für mich entscheiden und folge ihr durch die Gassen. Die hohen Gebäude rechts und links des Spaccanapoli verschlucken mich.
    Ich laufe durch die Querstraße von Tommasos Schule, lasse sie links liegen, ohne mich umzudrehen: Ich bin absolut sicher, dass der gewaltige Bau mit der abgebröckelten Fassade und den verrammelten Fenstern die letztensechs Monate nicht überstanden hat. Es muss einen Einsturz gegeben haben, der ihn in sich selbst zusammenfallen und im Erdboden versinken ließ. Es ist sinnlos, daran vorbeizugehen, ich würde nichts mehr vorfinden.
    Stattdessen gehe ich auf die Piazza Bellini. Dort sind sie alle.
    Verabredet haben wir uns in der Bar an der Ecke, aber Massimiliano schlendert mit dem Handy am Ohr auf der anderen Straßenseite auf und ab. Er hat mich noch nicht gesehen, ich kann ihn ausgiebig beobachten und versuchen zu erraten, mit wem er telefoniert.
    Es gelingt mir jedoch nicht: Wenige Monate, und schon habe ich den Anschluss verloren.
    Schließlich dreht er sich um, sieht mich. Er klappt das Handy zu, kommt zu mir rüber und umarmt mich.
    »Und was ist das?«
    Ich streiche ihm mit der Hand über den borstigen Bart.
    »Gefällt er dir?«
    Ich bejahe, weil ich ihm eine Freude machen will, dann gehen wir in die Bar und setzen uns zu den anderen. Ich habe sie auf Umwegen kennengelernt, über die Uni, die Arbeit, auf Partys, und es lässt sich schwer rekonstruieren, wer eigentlich ursprünglich mit wem befreundet war.
    »Auf die Heimkehrer«, sagt Massimiliano und erhebt sein Bier. Ich drehe mich zu Angelo und Ilaria um, die wie jedes Jahr zu Weihnachten aus Florenz nach Hause gekommen sind. Er nähert seine Bierflasche der meinen, schaut mir in die Augen. Wir stoßen an.
    Wir verlieren uns in dem üblichen Klatsch, spielen die festgelegten Rollen. Wer die Stadt hasste, hasst sie nochimmer, wer gestresst ist, jammert über seine Arbeit und beschwert sich bei denen, die sich abmühen, eine zu finden, und diejenigen, die sich täglich sehen, haben ihre ganz eigene Sprache.
    Es ist elf, einige gehen. Massimiliano und ich bleiben an unserem Tisch sitzen, vertraut mit einer Sache, die alt und neu zugleich ist.
    »An Weihnachten mache ich immer das Gleiche: ich treffe Freunde, die nach Neapel zurückkehren und schlecht über Neapel reden. Es gehört nicht viel dazu, Mailänder zu werden.«
    Ich zucke mit den Schultern. Ich höre ihm zu, will mich aber nicht von

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