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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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hindurchpasse. Das hörten die Achaier, und noch etwas anderes vernahmen sie: ein verblüfftes Erstummen, dann einen Aufschrei aus tausend Kehlen und schließlich die hektischen Schritte einer Menschenmenge, die die Flucht ergreift, strauchelt, sich wieder aufrafft und davonrennt
    Ein Gott offenbarte sich.
    Aus dem tiefen, ruhigen Meer schwammen, die Oberfläche kräuselnd, dicht nebeneinander zwei Schlangen heran. Mit schlagenden Schwänzen und hochgereckten Köpfen auf den gekrümmten Rücken strebten sie dem Strand zu.
    Am Ufer versuchte währenddessen Laokoon, durch die Opferung eines Stiers das bittere Schicksal von der Stadt abzuwenden.
    Da hörte man ein Tosen und Brausen. Aus dem Schaum der Wellen tauchten zuerst die blutroten Kämme auf, dann die glühenden Augen und die Mäuler mit den vor und zurück zuckenden Zungen. Die Schlangen stürzten sich auf seine noch halbwüchsigen Söhne und erdrückten sie mit ihren enormen Körpern. Laokoon lief herbei. Richtig: Sie kamen seinetwegen.
    Glückselig schlängelten sie sich um ihn, umschlossen ihn in der Mitte, drückten ihm Brust und Arme zusammen und die Kehle zu. Der Alte schrie wie der Stier, den er soeben hingeschlachtet hatte. Vergebens versuchte er, die Knoten zu lösen, während sein Genick brach und seine Augen wegen des giftigen Geifers der Schlangen anschwollen, bis sein Herz zu Brei geworden und aus demMund gespien worden war, die schwarzen Zähne den Rest erledigten.
    Nichts von alledem sahen die Griechen. Sie hörten die Schreie und das Zischen, die eine blutige Spur bis zum Tempel der Athene zogen, die an alles dachte. Sie ahnten, dass Laokoon tot war: Er hatte sich dem grausamen Schicksal widersetzt und war von den Schlangen verschlungen worden.
 
    Das Schwierigste ist, die Schwelle zur Klasse zu überwinden. Wieder von vorne anzufangen.
    »Guten Morgen.«
    Silvia müht sich mit dem Klassenbuch ab. Ich mache ihr ein Zeichen, sich nicht stören zu lassen, gehe zum Fenster und stelle meine Tasche aufs Fensterbrett.
    Einige Minuten tuscheln die Schüler über mich, dann treten andere Dinge in den Vordergrund.
    »Also gut«, sagt Silvia mit lauter Stimme und beginnt mit dem Aufrufen der Namen.
    Ich tue so, als ob ich zuhören würde, und mache mich wieder mit den zu engen vier Wänden vertraut.
    »Es geht schrittweise«, hat die Belcari gesagt, »nur zwei Stunden, zumindest am ersten Tag.«
    Von ihrer Bank aus erklärt Meriem, sie sei anwesend. Ich versuche, sie zu meiden, und konzentriere mich auf den Rest der Klasse. Man soll den Blick nicht auf den Baum richten, sondern auf den Wald, denke ich. Oder es ist genau umgekehrt, und ich habe es einfach vergessen.
    Das Aufrufen geht weiter, geht zu Ende. Als sie Riccardi aufrief, machte Silvia eine Geste, wie um zu sagen, er komme schon noch.
    Und er wird kommen, sofern er nicht krank ist. Fieber, Bauchweh, irgendetwas Harmloses ohne Folgen. Schön wärs.
    Silvia bittet Lorenzo, ihr das Heft zu bringen, in dem die Fehlzeiten der Schüler verzeichnet sind. Sie hat jetzt kurze Haare, als sei die frühere Frisur ein Veränderungsversuch gewesen, der nicht die erhofften Früchte getragen hat.
    »Einen Moment.«
    Er wühlt in seinem Rucksack herum, bis er es findet. Kaum ist er aufgestanden, dröhnt es dumpf vom Gang her. Jemand schlägt auf den Fußboden ein, als wolle er ihn bestrafen, dann ist die Wand dran, das Dröhen kommt näher.
    Lorenzo steht neben dem Pult. Silvia blättert das Heft durch, lässt sich selbst dann nicht beirren, als Riccardi das Klassenzimmer betritt.
    Die Haare hängen ihm über die Augen, die Windjacke ist ihm von den Schultern gerutscht, darunter ein offenes Hemd über einem Spiderman-T-Shirt.
    Die Klasse empfängt ihn mit verkrampften Händen und steifen Nacken.
    »Guten Morgen, Andrea.«
    Riccardi stürzt sich auf Lorenzo, packt ihn am Arm, schüttelt ihn. Lorenzo weicht einen Schritt zurück.
    »Willkommen in der Klasse«, fährt Silvia fort.
    Andrea lässt seinen Mitschüler los, klammert sich an den Rucksack, brüllt.
    Er hat mich gesehen.
    »Warum setzen wir uns jetzt nicht alle?« Sie macht Lorenzo ein Zeichen, wieder an seinen Platz zu gehen.
    Riccardi blickt um sich, entdeckt den freien Platz ganz hinten im Klassenzimmer. Silvia und ich halten den Atem an, während er durch zwei Bankreihen taumelt und dabei an allen Heften und Federmäppchen entlangschrammt.
    Ich atme auf, zu früh jedoch, denn anstatt sich hinzusetzen, bleibt er vor der Wand stehen, geht in die Knie,

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