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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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springt und schlägt mit den Händflächen dagegen.
    »Scheiße!«, schreit er, reißt die Arme hoch und schüttelt die Hände, um den Schmerz zu vertreiben.
    Irgendjemand lacht. Es ist nur ein kurzes Auflachen, im Keim erstickt, und dennoch steht es im Raum. Riccardi hat es gehört und sucht nun mit irrem Blick und vorgestreckten Fäusten die ganze Klasse ab. Wenn er den Lacher findet, bringt er ihn um.
    »Andrea«, sage ich.
    »Schnauze!«, brüllt er, fasst sich an die Ohren und reißt an ihnen.
    Tu was , sagt Biagini.
    De Lucia ist nicht da.
    »Andrea«, wiederhole ich.
    »Sei still! Sei still!«
    Nun hagelt es Fußtritte gegen die Bänke in der ersten Reihe. Die Schüler fliehen nach hinten, Federmäppchen, Bleistifte, Hefte fallen herunter, werden zertrampelt.
    Dann ist das Pult an der Reihe: Andrea hebt es hoch und schleudert es auf den Boden. Doch das genügt nicht, er muss es wiederholen. Und noch einmal.
    Die anderen Schüler weichen zurück, drängen sich an den Wänden zusammen, um ihn herum wird es leer, Silvia ist schon an der Tür.
    Der ganze Oberkörper tut mir weh. Und die Zunge, der Magen, die Beine. Meine Stimme klettert hoch, versucht, sich in der engen Kehle Platz zu machen.
    »Das reicht. Ruhe jetzt.«
    Andrea hört auf, lässt vom Pult ab.
    »Ruhe«, wiederhole ich. »Wir sind jetzt ein Weilchen still. Ruhig, alle.«
    Silvia will gerade die Tür öffnen, aber ich schüttele verneinend den Kopf.
    Los, Psycho. Bitteschön.
    »Alle still«, sage ich. »Alle ruhig.«
    Riccardi drückt noch ein wenig am Rand des Pultes herum, dann gibt er ihm einen leichten Schubs und geht an seinen Platz. Er schaukelt auf dem Stuhl, pfeift bis zum Ende der Stunde vor sich hin.
 
    Meine Aufzeichnungen in Sonderschuldidaktik beginnen mit einem Datum und einem Gesetz: Nr. 517 von 1977.
    Vor diesem Datum, so erklärte uns Biagini, hatte man keine Ahnung von der Inklusion behinderter Schüler. Es gab kein didaktisches Eingreifen, keine Schule, abgesehen von Sonderklassen, in denen alle, egal, ob geistig oder körperlich behindert oder verhaltensgestört, zusammen unterrichtet wurden.
    Der Inklusionslehrer sollte als Brücke zwischen den Erfordernissen der Klasse und denen des behinderten Schülers fungieren. Das würde es ihm ermöglichen, eine ganz normale Schule zu besuchen.
    »Oh, hör mal.«
    Die nachfolgenden Gesetzesinitiativen stammen ausden neunziger Jahren. Man wurde sich bewusst, dass es nicht den Behinderten, sondern die Behinderten gab. Dass man die Unterstützung auf die jeweilige Krankheit und den Grad der Zurückgebliebenheit abstimmen musste.
    »Hörst du mir zu?«
    Es wurde eine Zusammenarbeit zwischen gesetzlicher Krankenkasse und Schule beschlossen. Man sollte für jeden in Frage kommenden Schüler einen Bewertungsbogen erstellen, eine Diagnose , aufgrund deren sich seine Kompetenzen und Möglichkeiten bestimmen ließen.
    »O nein!«
    »Was ist los?«
    Anna beugte sich zu einem Kommilitonen hinüber.
    »Wann ist das Examen, am 15. oder am 18.?«
    »Am 15.«
    »Sicher?«
    »Ich schaue gleich mal nach. Lass mich jetzt mitschreiben.«
    Er wandte sich zu mir.
    »Weißt du es?«
    Raffaele Correnti, Physiklehrer. Zum Unterricht brachte er immer nur seine Brille und sein Handy mit. Er setzte sich so, dass er die Beine möglichst in voller Länge ausstrecken konnte. Die Hände hatte er entweder in den Hosentaschen oder ließ sie hinter der Rückenlehne baumeln.
    Einmal trafen wir ihn zufällig am Ausgang des Kinos.
    »Reine Zeitverschwendung, dieses Inklusionsprogramm. Reine Formsache.«
    Er zündete sich eine Zigarette an und bot und uns seine zwei letzten an.
    »Sobald ich fertig bin, bewerbe ich mich in Padua oder Vercelli. Dort wird sich schon eine Stelle finden. Biagini und das Inklusionsprogramm können mich mal!«
    Anna würdigte ihn keines Blickes.
    »Und warum machst du es dann überhaupt?«
    »Man kann ja nie wissen«, sagte er und mimte ein Auto, das nach dem Überholvorgang wieder einschert.
 
    »Es gibt einen Schulwettbewerb«, verkündet De Lucia. Er strahlt. »Gemälde, Skulpturen. Was immer uns in den Sinn kommt, können wir vorschlagen: Das Thema steht uns frei.«
    Er breitet die Arme über das ganze Klassenzimmer 9 aus. »Ich würde sagen, das ist für uns kein Problem.«
    »Und von wem sprichst du jetzt eigentlich?«, frage ich.
    »Von Andrea«, antwortet er, als sei das ganz selbstverständlich. Er zeigt auf die Fensterbank.
    Ach ja. Der Leguan.
    Ich gebe ihm die Ausschreibung zum

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