Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Wettbewerb zurück. Für ihn ist alles so einfach.
»Ich kriege ihn nicht mal dazu, dass er ruhig sitzen bleibt.«
De Lucia lächelt.
»Noch nicht.«
Er pinnt das Schreiben an unser Schwarzes Brett. Er hat keine Angst, dem Teufel an der Wand den Rücken zuzukehren. Er ist stärker als die Krankheit und die Stimmen, die in Riccardis Kopf herumschreien.
»Willst du, dass ich dir im Werkraum behilflich bin?« Er deutet auf die Decke, Santojannis Zimmer, das jetzt für zwei Stunden in der Woche auch das meine sein wird.
»Danke.«
Ich lasse ihn den Hausherrn spielen, und er geht voraus und schließt zum letzten Mal mit seinem Schlüssel die Tür auf.
»Nach dem, was passiert ist, hat man einiges verändert. Und jetzt bewahren wir Santojannis Zeug selbstverständlich in Klassenzimmer 9 auf.«
Ohne die Tonskulpturen und die hier und da aufgehängten Zeichnungen wirken die Wände noch kahler. Der Computer wurde weggeschafft, und der Tisch, nunmehr leer, scheint einen Krieg gewonnen zu haben.
»Wir haben die Stühle auf einer Seite gestapelt«, erklärt De Lucia. »Ich weiß nicht genau, wie viele Schüler am Werkunterricht teilnehmen werden.«
So aufeinandergestapelt, scheinen sich die Stühle zu umarmen. Sie haben nicht die Absicht, mitzuarbeiten.
»Hast du Lust, mir zu helfen? Es ist besser, wenn die Schüler alles schon an Ort und Stelle vorfinden.«
Wir reißen die Stühle gnadenlos auseinander, stellen sie um den Tisch herum, schieben einige Kartons zur Seite, nehmen den gesamten Raum in Beschlag.
»Ich finde, so ist es gut.«
»Noch nicht.«
Die Bücher fehlen.
Ich durchsuche den Schrank nach etwas Brauchbarem. De Lucias Arm streift mich an der Schulter.
»Entschuldige, ich muss das schnell erledigen, bevor du anfängst, Ordnung zu schaffen.«
Er nimmt einen Joghurtbecher vom Regalbrett.
»Wenn der verloren geht, bringt Santojanni uns um.«
»Was ist denn damit?«
De Lucia zieht die Klarsichtfolie ab, die den Becher verschließt: Hunderte von winzigen weißen Plastikschnipseln kullern in seine Hand.
»Ein Joghurt für jede Nachmittagsmahlzeit. Dann schneiden wir ein Stückchen aus dem Becher heraus und bewahren es hier drin auf. Er zählt sie täglich nach. Man kann ihn nicht täuschen.«
Er wirft sie wieder hinein, passt auf, dass ihm keines runterfällt, und steckt dann den Becher in seine Tasche.
»Warum?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Weil es ihm gefällt«, antwortet er und hilft mir, die Bücher aufs Fensterbrett zu stellen. Es ist der geeignetste Platz: leer, geräumig, allen zugänglich. Und den Vogelkäfig gibt es ja nicht mehr.
»Du kannst auch ein paar Plakate an die Wände hängen«, sagt De Lucia.
Er sieht die Schlange nicht, die neben dem Fenster herumkriecht.
Ich fasse mir ein Herz und ordne die Bücher in dem Bereich, in den sie noch nicht vorgedrungen ist. Die Schlange schlägt mit dem Schwanz, versucht schneller zu kriechen, fällt beinahe vom Fensterbrett, bevor sie auf dem falschen Marmor ihr Gleichgewicht wieder erlangt.
»Wir sind fertig«, sage ich. »Wir können gehen.«
Er klopft mit dem Schlüssel auf den Tisch. Macht mich nervös.
»Sie haben hier drin gute Arbeit geleistet.«
Ich tue so, als sähe ich mir die Wände genau an, alssuchte ich dort einen kürzlich entstandenen Riss, das schlecht verputzte Loch eines Nagels.
Ja, sie haben gute Arbeit geleistet: Es dürfte einige Stunden gedauert haben, die Blutspritzer zu übertünchen.
»Wer weiß, was dabei in seinem Kopf vorgegangen ist«, murmelt De Lucia.
Wer weiß, denke ich.
Wie soll man wissen, was im Kopf eines Menschen vorgeht?
De Lucia untersucht die Wand an den Stellen, auf die die Malerwalze stärker aufgedrückt, mehrmals hin und her gerollt worden war, damit der Säuregehalt der Wandfarbe selbst die Geruchsspur eines winzigen Todes überdecken und zersetzen konnte.
»Bin ich ein Mädchen, wenn ich dir sage, dass es mich bei dem Gedanken daran immer noch eiskalt überläuft?«
Die Schlange ist bei den Büchern angelangt, kriecht darüber. Aus dem offenen Maul ragt der verstümmelte Körper eines Zeisigs ohne Kopf.
»Sei nicht sexistisch«, erwidere ich. »Ich bin ein Mädchen.«
Nach dem Abendessen gehe ich aus dem Haus. Soweit möglich, laufe ich am Fluss entlang, biege dann in die Straßen der Innenstadt ein, flüchte mich unter die Arkaden der Via Po. Egal, wie sehr ich gestern Abend unter der Kälte gelitten habe: Heute Abend friere ich noch mehr. Ich habe begriffen, dass die Leute
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