Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Ton. Einer von ihnen versucht sich als Sportreporter, er stellt eine Verbindung her zwischen dem, was die Fußballer auf dem Spielfeld bieten und im Bett leisten, und hat damit die Lacher auf seiner Seite. Zwischen denen, die lachen, sitzt einer mit offenem Hemd über schwarzem T-Shirt, der desinteressiert auf den Bildschirm blickt, sein Bier trinkt, am Henkel des Krugs herumfingert, einen Stift hervorzieht, irgendetwas auf die Serviette kritzelt, sie dann zusammenrollt, unter den Krug schiebt. Sein Nebenmann redet auf ihn ein, er hört ihm zu und kneift dabei die Augen zusammen. Er ist ein zweiter Gianni.
»Was hältst du von dem?«
Ich klammere mich mit den Händen am Tresen fest, zwinge mich, dem übrigen Lokal wieder den Rücken zuzuwenden.
»Verschwinde«, sage ich. Und er verschwindet.
Dies ist mein Arbeitsplatz.
Das wurde mir heute Morgen klar, als ich mich ans Pult setzte. Das aufgeschlagene Klassenbuch vor mir, die Schiefertafel links hinter mir. Das Licht fällt durch die Fenster auf die ersten drei leeren Bankreihen.
In der Stille des Klassenzimmers, der Schule – denn es ist erst halb acht und außer der Hausmeisterin unten im ersten Stock noch niemand da – konnte ich sogar das Kratzen meiner Feder auf dem Papier des Klassenbuchs hören. So ging es eine Weile weiter, dann glitt etwas von der Bank herab, begann, über den grauen Fußboden zu kriechen.
Jede Handlung muss auf den Schüler abgestimmt sein. Dein Schüler ist Riccardi. Was wirst du tun?
Ich werde kapitulieren. Ich bin dieser Aufgabe nicht gewachsen. Doch ich werde Mattia helfen, die Literaturwerkstatt organisieren und alles andere erledigen, ich schwöre es.
Riccardi ist die erste Angst, die im Zimmer herumkriecht. Aber es gibt noch eine andere, größere, mit schmutzigen Zähnen und flachem Kopf.
Dieses Jahr hat es geklappt, aber im nächsten Jahr wird es nicht klappen. Lehrer braucht man nicht. Niemanden braucht man eigentlich.
An all dem trage ich keine Schuld. Ich habe alles Erforderliche getan: Von der Schule gute Noten nach Hause gebracht, selten Drogen genommen und wenn, dann immer nur leichte, eine Prüfung nach der anderen absolviert, rechtzeitig mein Examen gemacht, das Referendariat durchgezogen, die Spezialisierung mit Bestnote abgeschlossen, eine vernünftige Wahl getroffen, Neapel verlassen, den Willen gehabt, den Mut, das Herz, den langen Atem. Stunden, Tage, Monate, Jahre an Zeit eingesetzt für eine gute Ausbildung. Für eine anständige Arbeit. Für die Gewissheit einer bezahlbaren Miete und eines reinen Gewissens am Monatsende.
Die erste Angst ist die vor einer Krankheit. Die zweite Angst ist die, keine Arbeit zu haben. Die dritte Angst ist die, einen Fehler zu machen.
Ich habe aufgehört zu schreiben, habe dem Zischen und den dumpfen Schlägen der weißen Schlangen gelauscht, die sich durchs Zimmer schlängeln. Angeschaut habe ich sie nicht, sondern zitternd im Klassenbuch zurückgeblättert bis zu den ersten Seiten vom Oktober: so viele leere Kästchen, Zeilen, die noch ausgefüllt werden wollen.
Die erste ist die vor einer Krankheit. Die zweite ist die, keine Arbeit zu haben. Die dritte ist die, einen Fehler zu machen. Der Fehler heißt Gianni.
Die drei Schlangen haben sich schleppend durchs Klassenzimmer bewegt, die Köpfe hin und her schwenkend, mit in der Luft zitternden Zungen. Sie sind meinetwegen gekommen.
Jetzt ist alles klarer geworden.
Als die Pausenglocke ertönte, füllte sich das Klassenzimmer mit schwatzenden Schülern. Wie jeden Montag begann Loredana mit dem Unterricht. Riccardis Schritte näherten sich auf dem Gang, verharrten ab und zu, waren durch die Wand zu hören. Dann kam er herein und stürzte sich auf seinen Platz.
Loredana erklärte an der Tafel die Konstruktion der Dreiecke, die Schüler machten sich Notizen. Riccardi fing an zu kritzeln.
Ohne mich vom Pult zu entfernen, nahm ich mein Buch über griechische Mythologie aus der Tasche und blätterte darin. Auf dem Einband bekriegen sich Hektor und Achill in ihren roten und blauen Rüstungen, geloben einander ewigen Hass und Tod.
Jetzt schaut Riccardi zu mir her.
Ich tue so, als ob nichts wäre, lese weiter, bis sein Finger auf mich zeigt, unbewaffnet und beharrlich. Er stößt nicht nach mir, deutet nur.
Ich klappe das Buch zu, hebe es hoch.
Das hier?
Er nickt mit dem Kopf.
Nach kurzem Zögern gehe ich quer durch die Klasse zu seiner Bank. Ich lege es vor ihn hin, er packt es, öffnet es, deckt die Bilder der Krieger
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