Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
kleinen Spitzen vom Kopf bis zum Schwanz hinabzieht.
Weiter vorne gibt es bestimmt auch Schlangen, denkt der große Sohn. Er spürt, wie sich die Umklammerung der Mutter lockert, sieht sie zum Vater hingehen. Er bleibt allein zurück.
Der Kleine steht vor der Glasscheibe, schwankt nicht mehr.
Mama und Papa halten den Atem an, während er den Kopf wendet, dem runden Auge des größten und hässlichsten Tiers begegnet, das es im Terrarium gibt: zwei Meter runzlige grüne Haut.
»Das ist ein Leguan«, sagt der Papa sanft. Er geht neben dem Kleinen in die Knie und deutet mit dem Finger darauf, der zittert. »Siehst du den Leguan?«
Der Leguan jenseits der Glasscheibe gähnt, schaukelt dann auf seinen Pranken hin und her und gleitet vom Felsen in den Sand hinab. Der Kleine lässt ihn nicht aus den Augen.
Hinter dem großen Sohn nähern sich die Schritte der Führerin, die mit leicht verlegener Stimme fragt, ob alles in Ordnung sei, weil die Mama zu schluchzen begonnen hat.
Unterdessen ist der Leguan vor dem Kleinen angekommen, hat das Maul aufgerissen, um ihn zu verschlingen. Der Kleine geht näher ran, legt die Hand auf die Glasscheibe. Sofort kneift der große Sohn die Augen zu, da er fest damit rechnet, dass ihm und allen anderen nun gleich die Glasscherben um die Ohren fliegen werden.
Heute Morgen ist das Zischen ein beharrliches Bündel, das sich in den Schlaf einschleicht, sodass ich die Augen öffnen muss, um unter dem Bett nach den Schlangen zu suchen. Ich fasse mir ein Herz, halte mich am Matratzenrand fest, wie ich es als Kind tat, und schaue nach.
Keine Schlange.
Und dennoch setzt sich das Zischen fort, während ich mich wasche (nichts in den Abflussrohren, nichts in der Dusche) und anziehe (nichts im Schrank).
Margherita hat einen Handspiegel gegen meine Schulbücher gelehnt und schminkt sich am Küchentisch.
»Das Bad ist frei«, sage ich.
Sie zuckt mit den Schultern, ohne den Kajalstift vom Augenrand zu entfernen. So beiläufig wie möglich werfe ich einen Blick unter ihren Stuhl. Ich hätte schwören können, dass das Zischen von dort kam.
»Um zehn, haben sie gesagt, das heißt um neun, und das heißt, dass ich mit dir runtergehe.«
Ich nicke, schaue nach, ob sie hinter dem Kühlschrank sind.
»Wenn sie mich angerufen haben, heißt das, dass sie suchen. Ich muss einen guten Eindruck machen. Wie findest du meine Schuhe?«
Ich sehe mir ihre Schuhe an.
»Perfekt.«
Nichts hinter dem Kühlschrank. Nichts unter dem Heizkörper. Und trotzdem wird das Zischen lauter, macht mich ganz taub.
»Vielleicht ist es wieder mal reine Zeitverschwendung, wer weiß.«
Ich frage mich, ob sie die Tür gehört hat, als Savarese neulich morgens ging. Wenn dieses Zischen endlich mal verstummen würde, könnte ich mir darüber klar werden. Ich wüsste dann, wie ich die Sache angehen muss.
Tut mir leid.
Es ist nichts passiert. Ich wollte, dass du das weißt.
Aber schließlich ist ja nichts passiert.
Nicht, dass es dich was angeht.
Oder doch?
»Heute Abend habe ich frei«, sagt sie, sammelt ihre Schminksachen ein, steckt sie Stück für Stück in ihre Reisetasche. »Feiern wir das hundertste Vorstellungsgespräch?«
Nun ist die Geräuschkulisse konstant: Ich muss mich beeilen, damit ich loskomme.
»Ok, ich bin fertig. Würdest du mich einstellen?«
»Ja, klar.«
»Und würdest du mir Kaffee machen? Aber schütt erst meinen weg.«
Die Jalousie ist immer runtergelassen, um uns die Illusion von Privatsphäre gegenüber dem Nachbarn zu geben. Ich ziehe sie hoch, um etwas Luft zu schnappen, und sehe zu seinem Balkon. Plötzlich verstummt das Zischen: Sie haben einen Fluchtweg gefunden.
»Ist er fertig?«, brüllt Margherita aus ihrem Zimmer.
»Ja!«, brülle ich zurück.
Ich nehme einen Schluck, um mich zu vergewissern, dass der Kaffee genießbar ist, entferne Margheritas Lebenslauf aus dem Radius eventueller Spritzer. Letzte Woche habe ich ihn hundertmal durchgelesen und korrigiert, doch erst jetzt fällt mir auf: Sie hat heute Geburtstag.
Es ist, als säße ich wieder auf der Schaukel, hörte die Schlange, fühlte mich von ihr verfolgt, wüsste, dass sie da ist, und sähe sie doch nicht. Ich suche sie vergebens: im Lehrerzimmer, in Klassenzimmer 9, in den Toiletten. Nichts.
Ich flüchte mich in den Flur, doch sie folgen mir, als klebten sie an meinen Schuhsohlen. Ich habe sie getreten, und das wollen sie mir heimzahlen.
»Du rennst?«, fragt Mattia, als ich an ihm vorbeilaufe. Er sitzt am
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