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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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alljährlichen Anstrich übertüncht, vergessen, und wenn es dann so weit ist, tut er sich auf und die Schule stürzt über uns zusammen.
    Ich warte darauf, dass De Lucia mich rettet und eingreift. Aber das tut er nicht.
    »Es fällt ihm noch schwer, sich zu beherrschen«, sage ich.
    Nicolini zieht ein Taschentuch hervor, wischt sich damit über die Augen.
    Giglio lacht.
    »Wieso rufst du ihn denn beim Vorlesen der Anwesenheitsliste nie auf?«
    Er durchbohrt mich mit seinem Blick und steckt sich das Taschentuch wieder in die Hosentasche. Damit hat er nicht gerechnet.
    »Wozu soll ich ihn denn aufrufen?«
    Ich versuche, darauf zu bestehen, aber es gelingt mir nicht. Das Zimmer ist ein Schlangennest, ein Zusammenprall von Zischen, Kreischen, Gift: Etwas anderes kommt mir jetzt nicht über die Lippen. Also ergebe ich mich. Ich kapituliere, Andrea. Es tut mir leid.
    »Entschuldigt.«
    Meriem ist aufgestanden und streicht sich die Haare hinters Ohr.
    »Wir finden, dass Andrea in der Klasse bleiben soll.«
    Endlich hebt De Lucia den Kopf vom Terminkalender.
    »Also in den letzten Monaten in der Werkstatt … Wir haben jetzt keine Angst mehr vor ihm. Er kommt uns normaler vor.«
    Miranda setzt ihre Brille auf.
    »Du weißt, dass wir verantwortlich sind, wenn Riccardi jemanden von euch angreift?«
    Meriem räuspert sich. Sieht mich an.
    »Andrea hat heute nur versucht, mir an meine Kufija zu fassen, und Signora Belcari dachte, er wolle mir wehtun. Sie hat ihn an den Schultern gepackt und er … Er ist wütend geworden.«
    »Und trotz deines wertvollen Beitrags, Meriem«, fängt Miranda wieder an, »hatten wir schon zu Beginn des Schuljahres einen Beschluss gefasst, und an den müssen wir uns halten.«
    Nun konzentriert sich das Zischen auf mich, betäubt mich. Ich muss Ruhe bewahren, die Augen schließen, warten, dass es vorbeigeht.
    »Was hast du gesagt?«, fragt Miranda. Als ich ihr erstauntes Gesicht sehe, finde ich meine Sprache wieder.
    »Ich habe gesagt, dass die Belcari nicht hier ist. Ohne sie können wir nicht abstimmen.«
    Sobald ich den Mund schließe, ist im Raum alles wie verwandelt: Es herrscht Schweigen, ein Stummfilm läuft ab. Das Zischen ist plötzlich verschwunden.
 
    In allen Klassen finden jetzt Konferenzen statt. Ich nehme an keiner teil, meide das Lehrerzimmer und husche direkt in Klassenzimmer 9.
    Ich suche den Leguan auf dem Fensterbrett, spreche leise zu ihm.
    »Hast du das gesehen? Damit haben sie nicht gerechnet.«
    Ich kichere, strecke die Hand aus, um ihm den Kopf zu streicheln, lasse es dann aber sein: Er macht mächtig Eindruck mit seinem aufgerissenen Maul.
    Ich lasse mich auf den Stuhl vor dem Computer fallen. Ein weißer Streifen zieht sich von der Tastatur über den Tisch um die Maus herum zum Drucker. Ein Mosaik aus weißen Schnipselchen, die sich bei meiner Berührung auf der Holzplatte ausbreiten.
    Santojanni.
    Sofort schiebe ich sie wieder zusammen: Der Streifen ist unversehrt, wie zuvor.
    Ich habe so sehr das Gefühl, genau am richtigen Platz zu sein und das Richtige zu tun, dass ich glaube, Anna anrufen und ihr alles erzählen zu müssen. Und Margherita. Und Gianni.
    Ich sollte Gianni anrufen.
    Ich hole mein Handy hervor und halte es in der Hand, bereit, auf den grünen Hörer zu drücken, als wäre er der Abzug einer Pistole. Der Leguan starrt den Teufel mit drohender Miene an. Sie hassen sich.
    »Hallo«, sagt Savarese.
    »Hey. Hast du heute Abend Zeit?«
    »Kommt darauf an: Gibt es einen triftigen Grund, mir heute Abend frei zu nehmen?«
    »Einen überaus triftigen: Sie hat heute Geburtstag.«
 
    Ich bin schon fast an der Tür, aber Nicolini steht im Türrahmen.
    »Dich habe ich gesucht«, sagt er.
    Ich verschränke die Arme, damit sie nicht zittern. Er betritt das Zimmer, geht zur Fensterbank mit dem Leguan, neigt den Kopf zur Seite.
    »Eines möchte ich klarstellen: Es interessiert mich nicht, ob er jemanden umbringt, solange ich nicht da bin. Aber wenn er vor mir den Verrückten spielt, war's das.«
    »Das entscheidet immer noch die Konferenz«, erwidere ich.
    Er hört mir nicht zu. Fährt mit dem Finger über den Kopf des Leguans, als suche er nach Staub.
    »Was soll das sein? Ein Drachen? Eine Eidechse?«
    »Ein Leguan.«
    Er zieht den Finger zurück, seufzt.
    »Er ist noch nicht fertig«, informiere ich ihn.
    Der Körper ist noch unvollständig, das Maul erst grob ausgearbeitet, auf dem Kopf fehlen noch einige Zacken. Und er hat noch keine Augen. Die werden morgen

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