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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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Sonst nichts. Weil in seiner Wahrnehmung nichts anderes existiert.
    Weder der Bruder noch die Mutter noch der Vater. Weder die Kinder im Kindergarten, die vor ihm herumrennen, noch die Kindergärtnerin, die vor seinen Augen denFinger hin und her bewegt, überzeugt, dass er taub und blind ist.
    Jahrelang existiert für ihn die Außenwelt nicht, bis er während eines Ausflugs, bei dem der Familienfrieden auf dem Spiel steht, in einem Aquarium von Genua den Leguan erblickt. Er ist grün und hässlich, ein Ungeheuer. Dennoch existiert er.
    Mehr noch: Er beobachtet ihn. Und nicht nur am Tag des Besuchs, als er von seinem Felsblock glitt. Immer. Der Leguan weiß, dass es Andrea gibt, und passt auf ihn auf.
    Der Mann und die Frau merken es nicht sofort. Aber am Morgen der Abreise, als der Kleine anfängt, den Koffer auszuleeren, wobei er die Handgriffe nachahmt, die er zwei Tage zuvor an seinem Vater beobachtet hat, bleibt der Mutter nichts anderes übrig, als ihn mit Tränen in den Augen hochzuheben und festzuhalten.
    Es gibt keine Möglichkeit, ihn durch Zureden oder Befehle zum Aufhören zu bewegen, das weiß die Frau: Er reagiert weder auf Flehen noch auf Drohen. Deshalb bleiben sie eine Weile so stehen, er der Gefangene, sie das Gefängnis, bis etwas Unglaubliches geschieht.
    »Und was ist mit dem Leguan?«
    Die Mutter trocknet sich mit einer Hand die Augen und hält ihn mit der anderen fest. Da hat doch jemand gesprochen, denkt sie. Zu ihr hat er gesprochen.
    »Was hast du gesagt? Sag es noch mal.«
    Der Kleine versucht, ihr den Pullover vom Leib zu reißen, indem er mit der Faust am Ärmel zieht. Verschiedene Kleidungsstücke liegen auf dem Boden.
    »Der Leguan?«, wiederholt er. Auch wenn er mit demÄrmel und den Kleidungsstücken und allem Möglichen beschäftigt ist, schaut er ihr diesmal in die Augen. Er will es wissen.
    Die Mutter spürt ein Brennen im Hals.
    »Der Leguan will das nicht«, sagt sie und schüttelt den Kopf.
    Der Kleine befreit sich aus ihrem Griff und fällt auf den Boden. Er hat verstanden. Ohne die Pullover, die Jeans und all die Socken zu beachten, steigt er aufs Bett, um seinen Plüschhund zu holen. Der Koffer ist offen, noch zur Hälfte gefüllt. Er läuft um ihn herum, verlässt das Zimmer und geht zu seinem Bruder, der vor dem Fernseher sitzt.
    Die Frau schließt die Tür und fängt an zu weinen. Währenddessen packt sie den Koffer wieder ein und wartet darauf, dass der Ehemann aus dem Bad kommt. Die Sache mit dem Leguan ist etwas Kostbares: Diese Erkenntnis wird sie erst einmal für sich behalten, bevor sie ihm davon erzählen wird.
 
    »Was hältst du davon?«
    De Lucia hüllt sich in seinen viel zu dünnen Mantel.
    »Folgendes: Es ist spät geworden, und ich muss jetzt schnellstens nach Hause.«
    Ich sollte ihn in Ruhe lassen.
    »Warum hast du in der Konferenz nichts gesagt?«
    Er geht zu seinem Auto.
    »Ich habe mit Grazia gesprochen: Sie ist sehr erschüttert.«
    »Hat er ihr wehgetan?«
    »Nein, das ist es nicht.«
    Und doch hat er ihr wehgetan. Verflucht.
    »Na schön, ich rede mit ihr. Ich erkläre ihr, wie es gelaufen ist, sie wird es bestimmt einsehen.«
    De Lucia spielt mit seinen Schlüsseln.
    »Dir ist klar, dass das mein Probejahr ist?«
    Das wusste ich nicht. Er ist ein Lehrer, der nach einer befristeten Anstellung im öffentlichen Schuldienst verbeamtet wird: eine Rarität.
    »Glückwunsch.«
    De Lucia lächelt, wirkt jünger.
    »Seit zehn Jahren warte ich darauf. Und es passiert im ungünstigsten Augenblick meines Lebens.«
    Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll: Für alle ist es immer der ungünstigste Augenblick. Nach einer Weile gewöhnt man sich daran.
    »Hör zu. Es ist nicht leicht, alles zu tun, was in der Schule eigentlich getan werden müsste. Wir müssen uns wehren.«
    Wahrscheinlich habe ich das nicht ganz verstanden. Vielleicht aber doch.
    »Sitzt Miranda in der Kommission für dein Probejahr?«
    Er seufzt. Ja.
    »Bis morgen«, sagt er und steigt ins Auto. Ich mache ihm ein Zeichen, dass er das Seitenfenster runterlassen soll.
    »Möglicherweise wird es uns helfen, wenn wir den Leguan von nun an mit einbeziehen.«
    De Lucia macht eine Grimasse und startet den Motor.
 
    Ich habe gerade noch Zeit zu duschen, mich umzuziehen, den Tag zu vergessen: Punkt neun, während Margherita ihren ehemaligen Kolleginnen noch einen Aperitif ausgeben muss, klopft Savarese an unsere Wohnungstür.
    »Guten Abend. Lieferung frei Haus. Würden Sie mir den Empfang

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