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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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die richtige Menge an Gas, um nicht überzulaufen.
    Petar ist eine geladene Pistole. Ich überlasse es der Schule, sie zu handhaben, sie in alle Richtungen zu halten.
    Mattia ist eine verstimmte Gitarre. Wenn er zwischen seinen Mitschülern hindurchläuft, lacht er zu viel und zu laut. Von dem, was sie sagen, versteht er nur die Hälfte, aber das stört ihn nicht. Er will einer von ihnen sein.
 
    Normalität heißt die Parole.
    Auf der Suche nach einem Englischbuch flüchten wir uns ins Förderbüro. Ich frage mich, was jemandem wie Andrea Englischkenntnisse nutzen. Um Touristinnen anzusprechen? Nach Straßennamen zu fragen? Den Lebenslauf aufzumotzen?
    Dass De Lucia hereinkommt, nehme ich kaum wahr. »Hast du schon gesehen? Wir haben gewonnen.« De Lucia reicht mir ein Rundschreiben: Der Minotaurus hat den ersten Platz im Skulpturenwettbewerb belegt. Es wird eine Preisverleihung geben, und wir sind dazu eingeladen.
    »Hast du gehört, Andrea?«
    Riccardi blickt nicht hoch.
    De Lucia will sich schon von uns verabschieden, aber ich halte ihn an der Tür fest.
    »Hilf meinem Gedächtnis auf die Sprünge: War das ein Wettbewerb für sie oder stand er allen offen?«
    »Es ist ein Zweijahreskurs der höheren Schulen«, antwortet er.
    Er ist also für alle.
    »Phantastisch: Freust du dich, Andrea?«
    Jetzt ist Literatur dran. Wir sind mit unserem Thema noch nicht ganz durch.
    »Erinnerst du dich an die Geschichte von dem Zyklopen?«
    Auf den zerknitterten Seiten seines Hefts ist eine recht bescheidene Odyssee entstanden, unterteilt in kurze Episoden, die er nach Lust und Laune illustriert hat. Andrea blättert in seinem Heft, sucht die richtige Seite.
    »Was möchtest du sein: Theseus oder der Minotaurus?«
    »Theseus«, sagt er und zeichnet dem Polyphem ein weiteres Auge auf die Stirn.
 
    Ich hatte noch nie die Stadt wechseln, noch nie von vorn anfangen müssen. In meinen siebenundzwanzig Lebensjahren war bisher alles ganz normal verlaufen, eine von der Natur, der Erziehung, diversen Begegnungen bestimmte Wegstrecke.
    »Bist du bereit?«, fragte mich Massimiliano, bevor wir ins Auto stiegen.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Dann eben nicht.«
    Er schaltete den Motor aus, und wir blieben auf dem Parkplatz unterhalb der Wohnung stehen mit vollbepacktem Kofferraum und laufendem Radio.
    Ich hätte nicht gedacht, dass Tag für Tag an einem Ort zu leben bedeutet, ihn aufzubauen. Ich hätte nicht gedacht, dass wegzugehen bedeuten würde, ihn dem Erdboden gleichzumachen.
    Ich fing an zu weinen. Massimiliano schwieg, stellte das Radio lauter.
    Manchmal, wenn ich an jenen Tag zurückdenke, fällt mir ein, wie wir schweigend im Auto saßen und er die ganze Zeit den Finger am Lautstärkeregler hatte, als hätte er dadurch die Intensität dessen, was ringsherum geschah, regulieren können.
    An dem Tag, bevor wir losfuhren, hatten er und mein Vater bei einem eiskalten Bier den Zeitplan und die Strecke der Reise vereinbart, einen gegenseitigen Verrat bekräftigt. Mit irgendetwas waren sie gescheitert, obwohl sie es nicht zugaben.
    Wenn es Gianni nicht sein konnte, hätte ich gewollt, dass du es bist.
    Es hat sich nicht ergeben, es sollte nicht sein.
    Es ist die richtige Entscheidung. Er wird damit klarkommen.
    Es ist die falsche Entscheidung. Aber er wird damit klarkommen.
    Ich schaute ihnen zu, wie sie sich die Hand gaben, sich verabschiedeten. Massimiliano kam zu mir, küsste mich auf die Wange.
    »Dein Vater hat mein Buch gelesen, hast du das gewusst?«
    »Ich habe es vermutet. Er überlässt dir sein Auto: Daran sieht man, dass es ihm gefallen hat.«
    Er lächelte so, wie wir im Laufe der Jahre gelernt hatten, einander anzulächeln. Jetzt, nach etlichen Monaten Abstand, habe ich begriffen, dass es sinnlos ist, auch hier danach suchen zu wollen, bei Menschen, die man kaum kennt.
    Es ist sinnlos, dieselbe Liebe in anderen Arten der Zuneigung zu suchen, Vertrautheit im Unbekannten, meine Stadt in dieser Stadt. In Wahrheit sind es zunächst gewisse Gebärden und Gesten, die man in anderen Gesichtern, anderen Händen wiederzuerkennen glaubt, die aber bestenfalls nur eindrucksvolle Imitationen sein können.
    Diese Gesten bestehen in der Entfernung fort. Einer weiten, unüberbrückbaren Entfernung, die uns verschlingt und uns zwingt zu essen, zu arbeiten, die üblichen Dinge zu tun, ohne Wissen des anderen zu leben.
    Und dennoch werden meine Bücher immer mit Anna assoziiert sein; bei meinem Bier werde ich an Massimiliano auf der Piazza

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