Der Letzte Askanier
dröhnten lauter, wie um die Knechte anzuspornen, den riesenstarken Mann zu packen und niederzuwerfen. Erst nach langem Ringen gelang es, ihn zu binden und in den Turm hineinzuheben. Mit Meinhard hatten sie es wesentlich leichter, er kletterte die Leiter fast freiwillig hinauf. Den Plan, die nächstbeste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, hatte er aufgegeben, denn er hoffte auf eine Wendung der Dinge, die ihn einem seiner Ziele erheblich näher bringen konnte.
Die Knechte verschlossen die Pforte und stellten vier starke Männer als Wache davor.
Meinhard hielt es für das Klügste, vor Hans Lüddecke die Wendeltreppe hinaufzulaufen, um oben im Hellen auf die nötige Distanz zu gehen und dessen Absichten zu durchschauen. Schweratmend folgte ihm der Mann vom roten Haus.
Als sie auf der Plattform standen und sich gegenseitig taxierten, befand Meinhard von Attenweiler, daß er die größten Chancen hatte, wenn er den Riesen zum Katz-und-Maus-Spiel bringen konnte. Je überlegener Hans Lüddecke sich fühlte, desto leichter ließ er sich besiegen.
»Um Christi willen«, fing er an zu bitten und zu betteln, »strenger, gnädiger Herr, verschont mich, bitte, ich flehe Euch an! Ich will Euch auch ein Leben lang dienen als ergebener Knecht!«
»Weiter!« spottete Hans Lüddecke. »Du winselst so schön.«
So abstoßend fand Meinhard seinen Gegner gar nicht, hatte der doch etwas von einem tapsigen Bären an sich. Aber Feinden gegenüber gab er sicher kein Pardon. Meinhard tat nun so, als zitterte er entsetzlich vor ihm, und wich bei jedem weiteren Wort einen Schritt zurück. »Die Nürnberger zahlen auch ein fettes Lösegeld für mich.«
»Das können sie mir in den Arsch reinstecken, wenn ich am Galgen hänge!« höhnte der Ritter vom roten Haus. »Du oder ich!«
Meinhard blieb stehen, schluckte und wollte sich aufplustern wie ein Vogel. »Dann werde ich kämpfen, schließlich bin ich Waffenhändler!«
Hans Lüddecke bog sich vor Lachen und pumpte Luft in seinen massigen Leib. Als er die Lungen gefüllt hatte, spannte er die Muskeln oberhalb des Gürtels mit aller Kraft, bis er blaurot anlief. Dann entlud sich seine Energie mit einem urgewaltigen Schrei – und die Stricke, mit dem sie ihm den rechten Arm an den Leib gefesselt hatten, waren wie Zwirnsfäden zerrissen.
Meinhard prallte zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Brüstung und blieb stehen, wie von Angst gelähmt. »Dann hab ich nur noch eine Bitte: Seid schnell wie der Henker.« Damit schloß er die Augen, faltete die Hände und begann, laut das Vaterunser zu beten.
Wie ein Rammbock kam Hans Lüddecke herangeschossen, ihn erst zu zermalmen und dann in die Tiefe zu stürzen.
Doch in letzter Sekunde machte Meinhard von Attenweiler einen schnellen Ausfallschritt nach links, so daß Hans Lüddecke mit voller Wucht gegen die Brüstung prallte und sekundenlang förmlich an ihr kleben blieb. Das reichte für Meinhard, hinter ihn zu kommen und ihm den rechten Unterarm so kräftig ins Genick zu schlagen, daß der Ritter einem Mehlsack gleich zu Boden fiel. Dieser Hieb wie der Aufprall vorher sorgten dafür, daß Hans Lüddecke leblos liegenblieb. Meinhard drehte den Mann vollends auf den Bauch, zog ihm die Hände unter dem Leib hervor, drehte sie ihm auf den Rücken und schnürte sie ihm so zusammen, daß auch der echte Berserker sie nicht hätte sprengen können. Dann wälzte er ihn auf den Rücken und nutzte die Zeit, bis Hans Lüddecke wieder zu sich kam, um im Turm nach einem passenden Werkzeug für seinen nächsten Schachzug zu suchen. In der Speisekammer, die sich Kuneke, der entflohene Türmer, eingerichtet hatte, fand er schließlich einen Schmiedehammer. Er setzte sich neben den Ritter und wartete.
Als Hans Lüddecke erwachte, grunzte er wie ein Bär und brauchte lange, bis er begriffen hatte, wie es um ihn stand. Dann aber zögerte er keinen Herzschlag lang, Meinhard von Attenweiler wüst zu beschimpfen. »Warum hast du mich nicht längst von der Brüstung gestürzt, du kastrierter Hänfling!«
Meinhard hob den Hammer. »Weil ich Euch vorher noch die Schädeldecke zertrümmern wollte.«
»Halt!« schrie Hans Lüddecke. »Wenn ich schon sterben soll, dann nicht so, sondern im Kampf mit einem Ritter meines Schlages.«
Da verließ Meinhard von Attenweiler alle Vorsicht. Ob es nun die Eitelkeit war oder nur die Lust am Spiel, jedenfalls entfuhr es ihm, daß er selber zum Adel gehörte, und er nannte dem Ritter seinen vollen Namen. »Ich war auf dem
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