Der Letzte Askanier
Wie soll er mich da kennen?« fragte Rehbock seine Begleiter. »Im Jahre 1319, da habe ich in der Gruft gelegen und er in den Windeln.« Da lachten sie alle, aber das Eis war noch immer nicht gebrochen. »Es ist ein anderes, jüngeres Geschlecht hier als jenes, das ich damals verließ. Aber märkisches Blut ist es doch, treues, gutes. Ich lobe sie dafür, daß sie dem Herrn treu sein wollen, von dem sie glauben, daß er es ist.«
»Es ist nicht ihr Herr!« riefen da alle aus seinem Zuge und schlugen gegen ihre Schilde, daß es nur so klirrte, und beschimpften Ludwig.
»Will das Nest uns wirklich widerstehen?« schrie Kurt von Alvensleben. »Als einzige Stadt? Das wäre doch gelacht!«
Rehbock war jetzt Waldemar und gebot ihm mit herrischer Geste zu schweigen. »Meine Granseer verdienen diese Schelte nicht! Es sind gute Leute. Sie prüfen zwar langsam, aber halten dafür auch ihr Wort. Viele Städte schickten nach mir, aber ich komme vor allen zu euch.«
Da jubelte das Volk und drängte seine Ratsmannen zur Seite.
»Waldemar!« Sie schrien sich die Kehlen wund. »Hoch lebe Waldemar!«
Henning von Nienkerken konnte seine Bewunderung für Rehbock nicht verhehlen. Welche Begabung er doch hatte, sich als Führer aufzuspielen! Voller Neid und Groll dachte er das. Über den Kopf wird er mir wachsen, sich nicht mehr lenken lassen, wenn das so weitergeht. Die Liebesstunde mit Hanne, der Magd, hatte ihn eher gestärkt als geschwächt. Fast freute es Henning, daß der Ratsherr Eitelberger noch immer nicht nachgeben wollte.
»Wir müssen's erst noch prüfen«, sagte der, als Kurt von Alvensleben darauf drängte, daß die Ratsmannen ihre Meinung nun änderten.
»Wo Fürsten, Herren und Bischöfe alles untersucht und für recht befunden haben, da wollt Ihr noch zweifeln!?« fuhr er den Granseer an.
»Laß ihn!« rief Rehbock da und sprang vom Pferd. »Ich werde einmal sehen, ob sich noch Freunde finden, die mich aus alten Zeiten kennen.«
Damit schritt er das Spalier der Granseer Bürger ab und verschaffte sich noch mehr Sympathien, indem er öfter sagte: »Dich selber kenne ich nicht, junges Blut, aber dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das war ein wackerer Mann.« Und öfter war ihm so, als ob das wirklich stimmte.
Manch einer hatte da Tränen in den Augen, und einige griffen nach seiner Hand oder küßten seinen Mantel. Die Frauen hoben ihre Kinder hoch, damit sie ihn sahen.
Henning von Nienkerken musterte die Reihen der Granseer, um herauszufinden, ob da nicht einer von Ludwigs Anhängern war, der mit einem Messer zustechen und dem falschen Waldemar ein schnelles Ende bereiten konnte. Dies zu verhindern, war Freundespflicht. Doch er sah keinen, der gefährlich werden konnte.
Dabei schwebte Rehbock schon in erheblicher Gefahr, denn als er jetzt auf den zutrat, der offenbar der Bürgermeister war, wurde es brenzlig für ihn.
»Du bist …?«
»Der Bürgermeister von Gransee. Doch Ihr müßtet mich kennen!«
Rehbock erschrak, und wie im Reflex ging sein Blick zu Henning von Nienkerken hin. Der aber war zu weit entfernt, um ihm aus der Patsche zu helfen. Wie gelähmt stand er da und sah mit leerem Blick zum Granseer Wartturm hinauf, von dessen Zinnen zwei Männer herabschauten.
»Ich bin der Andreas Grote«, sagte der Bürgermeister.
Rehbock konnte nichts anfangen damit, fand aber auch keine Worte, dies zu kaschieren, und verspürte nur eine entsetzliche Leere im Kopf. Alles war ja nur ein Traum. In Wahrheit saß er in seiner Höhle, tief im Sand vergraben und wartete, daß der Herr ihn endlich heimholen würde. Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein gibt, daß er fortgehe. Nun also hatte der Herr ganz offenbar beschlossen, daß sein Weg hier vor Gransee zu Ende gehen sollte.
Endlich kam Henning von Nienkerken heran und fragte den greisen Granseer Bürgermeister, was vorgefallen sei.
»Er erkennt mich nicht«, sagte Andreas Grote leise, aber der darin steckende Vorwurf war deutlich herauszuhören.
»Still! Es ist die Erinnerung an den schrecklichsten Tag in seinem Leben, die ihm die Sinne schwinden läßt.«
Rehbock fühlte, wie Henning ihn packte und heftig schüttelte.
»Redet nicht davon«, drang Henning von Nienkerken dann auf den Bürgermeister ein. »Nicht von der Schlacht hier vor Euren Toren. Vor zweiunddreißig Jahren. Da war er, Markgraf Waldemar, unter seinem Pferd begraben …« Er hoffte, daß sein Herr auf dieses Stichwort prompt reagieren würde, denn sie
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