Der Letzte Askanier
andere die Gnade. Desgleichen steht geschrieben: Mit welchem Maß du missest, solltest du gemessen werden. Durch den Hans Lüddecke haben wir unverwindlichen Schaden, aber noch mehr Schrecken gehabt, und desgleichen durch den falschen Türmer, den Attenweiler, wie durch den richtigen, der aber entkommen ist. Mehr Schrecken denn Schaden; so haben es Gott und die Heiligen gefügt. Und deshalb verfügten wir mit Rechten auch so die Strafe, daß sie durch Angst und Schrecken gestraft würden, und einer büße für zwei.«
Rehbock verstand das alles nicht so recht und fand, daß es am klügsten war, dem Schultheiß einfach zuzustimmen. »Ja, mit Rechten habt ihr gerichtet als die Obrigkeit dieser Stadt.«
Nun hätte seiner Meinung nach diese Szene durchaus ein Ende haben können, aber die Ratsmannen gaben noch immer kein Zeichen, ihm und seinen Rittern die Tore zu öffnen. Da riß ihm die Geduld.
»Wenn ihr mir nicht sofort die Tore öffnen laßt, dann wird zum Sturm geblasen. Ich bin der Markgraf hier, euer Herr, und nur mein Wort gilt, nichts anderes!« Nicht nur den Ratsmannen wollte er zeigen, wer die Macht hier hatte, sondern auch dem Henning von Nienkerken – und dem ganz besonders.
Doch als er sich aufs Pferd schwingen wollte, um alles zu ordnen, hielt Elisabeth ihn fest.
»Was ist!?« fuhr er sie an.
»Bedenke bitte …« Ganz sanft sah sie ihn mit ihren Augen an, die wie zwei Vergißmeinnicht waren. »Bedenke bitte dies: Hoffärtige Augen und stolzer Mut, die Leuchte der Gottlosen, sind Sünde.«
Da konnte er nicht anders, als seine Meinung wieder zu ändern, was ihm auch dadurch erleichtert wurde, daß der aus dem Turm befreite Ritter nun auf ihn zugelaufen kam.
Hans Lüddecke hätte die Gelegenheit eigentlich nützen können und müssen, sich aus dem Staube zu machen, doch die magdeburgischen Ritter hatten ihm gleich nach seiner Befreiung tüchtig zu trinken gegeben, und nun lief er wie ein wütender Stier auf die Ratsmannen zu. Meinhard gab sich alle Mühe, ihn aufzuhalten und nach Hause zu lenken, doch umsonst. Die anderen Ritter ließen alles so laufen, wie es gerade kam, sie wollten nur ihren Spaß.
»Da kommt er angerannt«, sagte der Bürgermeister. »Am besten, Ihr haltet selber Gericht, Markgraf Waldemar.«
Rehbock wäre erneut am liebsten im Boden versunken. Gericht halten, das konnte er nicht, das hatte er noch nicht geübt.
Zum Glück für ihn war Kurt von Alvensleben nicht einverstanden damit. »Wir wollen in die Stadt. Gericht halten, was soll's denn!?«
»Wir Bürger bringen diese Sache wider diesen Mann vor unseren Fürsten und bitten um Gericht.« Andreas Grote ließ nun nicht mehr locker.
»Wozu Gericht halten!?« schrie Hans Lüddecke, nun angekommen. »Wer hegt hier noch Gericht!?«
Rehbock blieb nichts anderes übrig, als sich zu stellen. »Dein Herr und Markgraf.«
»Mein Markgraf«, lachte der Raubritter auf, »der sitzt im Bayerland. Ich hab mich mein Lebtag nicht um ihn gekümmert, aber er ist ein junger Mann – und das hier ist ein alter Mann.«
Der frechen Rede entsetzten sich viele, insbesondere die geistlichen Herren im Gefolge.
Henning von Nienkerken, inzwischen auch herangekommen, wollte seinem Herrn Entsatz verschaffen. »Den Bayern zu verjagen, das hat Eil' – Gericht zu halten, das hat Weil'.«
Rehbock fand es gar nicht gut, daß sich hier Heiterkeit ausbreitete, das untergrub seine markgräfliche Würde. »Mitnichten, Herr von Nienkerken. So einem Fürsten Unrecht begegnet, und er setzt seinen Fuß drüber hinweg, begeht er selber Unrecht.« Als der Satz zu Ende war, mochte er nicht glauben, ihn ohne fremde Hilfe so geformt zu haben. Das konnte er nie und nimmer, da war ein Fremder in ihm, der durch ihn sprach, ihn für sich sprechen ließ.
»Da stieße Euer Fuß oft an, so Ihr um jedes Unrecht, das Euch in diesem Land begegnet, extra anhieltet«, sagte Andreas Grote in bitterem Ton.
»Und darum, meine ich, war es Zeit und war es richtig, in mein Land zurückzukommen!« rief Rehbock aus, ganz Waldemar.
Während dieser Worte war sein Blick auf dem Manne haftengeblieben, der mit Hans Lüddecke im Turm gesessen hatte. Den kannte er von irgendwoher. Von wo aber? Sein Instinkt sagte ihm, daß der ihm sehr gefährlich werden konnte. Da fiel es ihm ein: Den hatte er im Fläming getroffen, im Wald, wo er als Pilger gekniet hatte, um vor einem Marienbild voller Inbrunst zu beten. Wenn er sich an ihn als Pilger erinnerte, das machte nichts, aber vielleicht
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