Der Letzte Askanier
Ludwig spontan und gab Meinhard einen Wink. »Du weißt, wo er steckt. Geh und hol ihn.«
»Ich komme mit«, sagte Kunat von Kremmen.
»Warum das?« wollte Meinhard wissen, als sie an der Tür des Rathaussaales waren.
Kunat von Kremmen war es peinlich. »Meine Blase«, flüsterte er. »Die nasse Kälte draußen. Wo kann man denn hier …?«
»Komm!« Meinhard führte ihn eine schmale Stiege hinunter. Da hatte er eine Idee, die beste seit Jahren, so schien es ihm. »Hier entlang!«
Kunat von Kremmen duckte sich ein wenig, um durch die niedrige Tür zu schlüpfen. Und da er seinen Helm oben vor dem Rathaussaal gelassen hatte, war es für Meinhard ein leichtes, ihn mit einem kräftigen Hieb in den Nacken zu Boden zu strecken. Diese Betäubung, das wußte er, hielt eine Weile an. So konnte er den Boten Waldemars in aller Ruhe entkleiden und sich in Kunat von Kremmen verwandeln. Seine eigenen Sachen waren schnell versteckt.
Im Nu war er auf dem Wall und zischte Ludwigs Wachen zu, daß er schnell noch einmal hinüber müsse, weiteres Geld zu holen. Sie glaubten Kunat von Kremmen vor sich zu haben und fragten nicht lange nach. Wie aber würden die Soldaten der anderen Seite reagieren, die ja den Begleiter Waldemars viel besser kannten? Mit weichen Knien ging er auf sie zu, das Niemandsland zog sich endlos in die Länge.
Rudolf von Sachsen saß mit Waldemar im Feldherrenzelt und sprach mit ihm über das Gericht, das Karl in seinem Lager zu Heinersdorf anberaumt hatte.
»Ich glaube nicht, daß er sich das entgehen läßt, dich als neuen Graf der Marken auf das Brett zu stellen und den Wittelsbacher ganz einfach wegzuschnipsen. Du wirst das Spiel gewinnen, Waldemar, weil er damit gewinnt.«
»Und der Preis dafür, das wird die Lausitz sein.«
»Gib sie ihm, denn was dir bleibt, reicht allemal.«
»Sicher, für einen armen Pilger aus Jerusalem …«
Rudolf von Sachsen lächelte. »Einige im Lager und im Lande meinen sogar, du seist beim Priester Johannes gewesen, und der habe dich eine geheime Weisheit gelehrt, mit der du den Toten in der Gruft beschworen und die Gestalt Waldemars angenommen hast, mitsamt der Narbe über der Stirn.«
»Dazu reichte allemal ein Küchenmesser!«
Rudolf von Sachsen trank den Rest seines Weins und fuhr mit dem Finger auf dem Rand seines schön geschliffenen Pokals entlang, bis ein singender Ton entstand. »Warst du schon an Agnes Grab?«
»Agnes?«
Rudolf von Sachsen stand auf. »Deine Frau. Wenn Karl dich befragen läßt, könnte dir ein solches Zögern zum Verhängnis werden. Du solltest das ändern.« Damit verließ er das Zelt.
Meinhard von Attenweiler, der an der Rückseite des Zeltes zwischen zwei Fellbahnen einen Spalt gefunden hatte, warf sich hin und preßte sich in den kalten Morast. Es war so düster, kalt und naß, daß sich kaum einer draußen blicken ließ, alle hockten sie in Zelten und Hütten. Auch die Wachen der Belagerer hatten ihre Umhänge kaum angehoben, als er grüßend an ihnen vorbeigegangen war. Sein Plan war gewesen, so schnell wie möglich zu den Pferden am Rand des Lagers zu gelangen und sich davonzumachen, dann aber hatte er Rudolf gesehen, der im Zelt des falschen Waldemar verschwand, und deren Gespräch konnte er sich unmöglich entgehen lassen. Was er gehört hatte, bestärkte ihn allemal in der Überzeugung, einen Hochstapler vor sich zu haben. Siehe die Narbe: »Dazu reichte allemal ein Küchenmesser!« Wenn das nicht genügte als Indiz! Und dann, daß er sich nicht sofort an seine Frau erinnert hatte. Typisch für einen, der erst mühsam lernen mußte, wer er war und was es in ›seinem‹ Leben schon alles gegeben hatte.
Trotz dieser schlagenden Beweise nahm sich Meinhard vor, den Mann im Zelt weiter zu belauschen – in der Hoffnung, daß sich der angebliche Pilger mit einem unbedachten Wort verraten würde. Vielleicht ergab sich auch die Chance, einfach hineinzugehen ins Zelt und den falschen Waldemar mit ein paar geschickten Worten zu überreden, er solle alles hinwerfen und sich Ludwig als Betrüger stellen. Abfinden konnte man ihn womöglich mit ein paar Hufen irgendwo an der Grenze zu Polen. Oder aber ihn in Frankfurt köpfen lassen … Dieser Gedanke ließ Meinhard erschaudern, denn eigentlich fand er den Alten faszinierend. Auf merkwürdige Weise fühlte er sich hingezogen zu dieser außergewöhnlichen Gestalt.
Möglicherweise hätte er tatsächlich das Zelt betreten, wenn nicht just in diesem Augenblick von den Wällen her Schreie
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