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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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jemand gab ihm etwas
zu essen. Dann war er nur ein verfressener Hund. Auf Befehle hörte er kaum. Es
sei denn, man rief ihn zu Tisch. Da war er ganz konsequent.
    Der Fahrradladen befand sich in der Victoria Avenue 9, zwischen
einem Newsagent und einer Versicherung. University Cycles sah aus, als sei es
schon vor Jahren geschlossen worden. Auf dem vorstehenden Dach war ein vom
Regen rostbraunes Fahrrad angekettet, der graue Anstrich des Holzes war
großflächig abgeblättert, und die Eingangstür war mit allerlei billig kopierten
Werbezetteln beklebt – für drittklassige Rockkonzerte, Filmfestivals und
Fußballspiele.
    Der Laden selbst wirkte düster und roch nach Gummi, doch der
Besitzer war den Umständen entsprechend gepflegt. Er hatte Bietigheims Alter, trug
einen grauen Vollbart, und die Haare standen in alle Himmelsrichtungen, als
hätte er gerade mit feuchten Fingern in die Steckdose gegriffen.
    Â»Hallo, ich bin Colin. Was kann ich für Sie tun?« Er blickte an
Bietigheim hinunter. »Und für Ihren Hund? Etwas Wasser?«
    Â»Gerne. Für meinen Hund. Ich trinke lieber Tee, aber ich vermute,
das wird hier nicht möglich sein. Schließlich sind Sie kein Tea House.«
    Colin lächelte. »Wir sind aber auch kein normaler Fahrradladen.
Haben Sie denn ein paar Minuten?«
    Â»Für einen guten Tee immer.«
    Â»Erst einmal Ihr Hund!«, sagte Colin und brachte Benno etwas kühles
Wasser. Dann verschwand er im Hinterzimmer und kehrte gute fünf Minuten später
mit einer Teekanne und einem Teller Shortbread zurück. Er goss Bietigheim
zuerst ein – und dieser schnüffelte kritisch an dem Gebräu.
    Â»Das ist ja ein Darjeeling Flugtee Gielle FTGPOP«, er nahm einen
Schluck des Schwarztees aus neuester Ernte, »und perfekt aufgebrüht.«
    Â»Anders mag ich ihn nicht.« Colin goss sich selber ein und genoss
den teuren Tee in aller Ruhe.
    Â»Ich muss zugeben«, sagte Bietigheim, »das hätte ich hier wirklich
nicht erwartet.«
    Â»Na ja, ich war nicht immer Fahrradschrauber. Früher habe ich auch
an der Uni gearbeitet, Jahre ist das her. Und da kommt man eben zum Teetrinken.
Gut, einige kommen auch zum Whiskysaufen.«
    Â»Dann sind wir quasi Kollegen?«
    Â»Das kann man wohl so sagen. Ich weiß natürlich, wer Sie sind.«
    Â»Redet man also auch außerhalb der Universitätszirkel über mich?«
    Â»Oh ja, man redet über Sie, erst recht nach dem Zeitungsartikel,
aber was anderes haben Sie sicher nicht erwartet.«
    Â»Nein. Viele warten wahrscheinlich nur darauf, dass es mich
erwischt.«
    Colin nickte. »Die Wettbüros nehmen schon Einsätze an. Zurzeit steht
die Quote bei zweiundfünfzig zu eins, dass Sie das Jahr nicht überleben.«
    Â»Wie tröstlich.«
    Â»Sie sollten selbst auf Ihren Tod wetten. Dann gewinnen Sie so oder
so. Entweder Sie überleben, und das Geld ist weg, oder Sie sterben, und Ihre
Erben können sich über ein nettes Sümmchen freuen.«
    Â»Ich ziehe es dann doch vor weiterzuleben. Was meint man denn, wer
meine Vorgänger auf dem Gewissen hat?«
    Colin nahm wieder in aller Ruhe einen Schluck Tee. »Viele glauben,
dass es Studenten waren, die sich rächen wollten. Beide galten als sehr streng
bei der Notenvergabe, sie haben so manchem die Karriere verbaut. Andere glauben
eher an eine Universitätsintrige.«
    Â»Trinity?«
    Colin nickte. »Manche vermuten interne Konkurrenz als Beweggrund.
Wissen Sie, Kulinaristik ist ein großes Ding, schauen Sie mal, wie viele
Kochshows es im Fernsehen gibt. Der Inhaber dieses Lehrstuhls an der University
of Cambridge ist ein berühmter und begehrter Mann und im Gegensatz zu vielen
seiner Kollegen auch gut betucht durch Buchverträge und Auftrittsgagen. Geld
war schon immer das beste Mordmotiv.«
    Â»Und Liebe.«
    Â»Die Medien haben zu diesem Aspekt im Leben der beiden Toten kaum
etwas gebracht. Da hat man den Deckel draufgehalten. Das finde ich auch gut so.
So etwas gehört nicht in den Schmutz gezogen.«
    Â»Ich mag Ihre Einstellung! Bei Ihnen kaufe ich ein Fahrrad.«
    Colin stellte seine Teetasse behutsam ab. »Was für eins soll es denn
sein?«
    Â»Ein Hollandrad, schwarz, vorne mit Korb für meinen Hund. Und von
tadelloser Qualität zu angemessenem Preis.«
    Â»Haben wir zufällig da.« Colin ging in den Hinterraum und schob das
gewünschte Rad nach vorne,

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