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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Gattung Ihrer Spezies ist
leider sehr selten geworden.« Mit großen, entschiedenen Schritten kam sie auf
ihn zu.
    Bietigheim streckte die Hand aus. »Ich möchte Ihnen mein Beileid
aussprechen.«
    Â»Ach, das ist doch schon so lange her. Ich will nicht herzlos
erscheinen, obwohl Herzlosigkeit in der heutigen Welt kein Nachteil sein muss,
aber das Leben geht weiter. Meines zumindest. Kurz nach seinem Tod war es
natürlich anders, und ich fühlte mich wie in einem Glassarg. Aber ich tat, was
der Tag von mir verlangte, und sagte keine Termine ab. Rundum tobte eine
Grippewelle, ich hingegen blieb grauenvoll gesund. Wenn man sich dann nicht die
Kugel gibt, greift irgendwann das Leben wieder nach einem: Man geht jeden
Morgen ins Badezimmer, plötzlich merkt man, dass einem was schmeckt, plötzlich
hört man sich sogar lachen. Während man noch hinterhersterben möchte, lebt man
bereits wieder. Aber jetzt lassen Sie uns Platz nehmen. Ich unterhalte mich
ungern im Stehen, es hat immer etwas von Fast Food.«
    Zwei Wände des Stutensalons bestanden aus Glas und ermöglichten
einen weiten Blick auf die tatsächliche Weide, wo ein paar prachtvolle Pferde
grasten.
    Â»Zwei«, rief sie ihrer Bediensteten zu, die kurz darauf mit zwei
Cocktails zurückkam. Bloody Marys, hochprozentig gemixt. Dazu zündete sich die
Countess eine Zigarette an, die in einem langen Halter steckte. Den Rauch blies
sie wie teuerstes Parfüm in den Raum.
    Â»Timothy war ein wohlgelungener Ehemann, Herr Professor. Gut, er war
oft nicht zu Hause, er liebte die gesellschaftliche Bühne, und er wollte sie
für sich allein. Doch ich stamme aus einer Generation, in der es vielen Frauen
genügt, an der Seite ihres Mannes zu stehen, die darin sogar ihre Erfüllung
sehen und keine andere Selbstverwirklichung brauchen. Ich habe mich nie
beschwert, weil es keinen Grund dafür gab. Außerdem habe ich ja meine Pferde,
und die sind kein Hobby, sondern vielmehr eine Leidenschaft – so wie andere
Frauen ihren Garten bis zur Perfektion pflegen oder Teetassen sammeln.«
    Â»Dass dieses Hobby mittlerweile Millionen abwirft, hat sicher nicht
geschadet.« Bietigheim hatte sich selbstverständlich vorbereitet.
    Â»Ich habe ein Händchen für Hengste.« Sie nahm einen Schluck ihres
Cocktails. »Das können Sie ruhig zweideutig verstehen. Sie dürfen auch leicht
erröten, das passt gut zur Farbe meiner Polstergarnitur.«
    Â»Prophylaxezahnbürste.« Meine Güte, wann würde das endlich wieder
aufhören!
    Â»Wie bitte?«
    Â»Ich bin Hanseat. Wir erröten nicht. Wir räuspern uns nur.« Er
räusperte sich.
    Â»Sehr aristokratisch.«
    Bietigheim wollte darauf hinweisen, dass Hamburg dezidiert
bürgerlich sei, ließ es aber bleiben. »Wenn ich ganz offen sein darf: Vor
diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Polizei Sie befragt hat.«
    Sie schmunzelte. »Oh, aber sicher dürfen Sie das fragen, Herr
Professor. Ich mag es, wenn es delikat wird. Ja, ein paar Herren von Scotland
Yard waren hier. Sie haben mir eine Affäre mit Jonathan Cleesewood unterstellt.«
Sie hielt ihre Zigarette in die Höhe und lachte dann auf. »Ich bitte Sie. Sehe
ich aus, als könnte ich ein solches Jüngelchen in meinem Bett gebrauchen?«
    Â»Nein«, sagte Bietigheim. »Sie sehen, mit Verlaub, danach aus, als
hätten dort nur Löwen eine reelle Überlebenschance.«
    Â»Herr Professor, Sie amüsieren mich. Und ich finde Männer attraktiv,
die mich amüsieren. Das gelingt nur wenigen.«
    Â»Bei Scotland Yard hielt man es also für denkbar, dass Sie Ihren
Mann umgebracht haben, weil dieser hinter Ihre Affäre gekommen ist oder weil
sie Ihrem … Gespielen die angesehene Institutsleitung besorgen wollten. Und als
der Lustknabe ausgespielt hatte, entledigten Sie sich seiner.«
    Â»Ja, genau das unterstellte man mir. Eine griechische Tragödie.
Albern, schrecklich albern.«
    Â»Wer war es dann? Feinde, eine Geliebte …«
    Â»Ach, hören Sie doch auf. Blanker Unsinn. Seine Feinde hatte er sich
alle redlich verdient, doch das waren Kollegen, und denen ist ein Mord zu
profan, die wollen auf dem Feld der Intrigen siegen.«
    Â»Und …«
    Â»â€¦Â eine Geliebte? Nein, hatte er nicht nötig. Ich bitte Sie, Herr
Professor. Diese Frage war wirklich unhöflich. Sie enttäuschen. Er hatte doch
mich!«

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