Der letzte Aufguss
gern
mitkommen, Kleiner. Es gibt nur eine Regel: Keinen Blauschimmelkäse für den
Hund! Ganz egal, wie er dich anguckt!«
Eine bleiche, kraftlose Sonne stand am Himmel, als sie am Nachmittag
die Stadtgrenzen Cambridges passierten. Der Professor lieà sich von Pit am
Institut absetzen, wo er prüfen wollte, ob mit Colin alles reibungslos gelaufen
war. Michael wurde in der Pretoria Road einquartiert, und danach widmete sich
Pit seinem Auftrag, Teemeister Kokushi aufzutreiben. Zur Stärkung kaufte er
sich Pommes frites â und bemerkte zu spät, dass man Essig darauf gegeben hatte.
Er warf sie in die nächste Mülltonne.
Irgendetwas stimmte nicht mit den Menschen hier.
Essig gehörte in den Salat. Vielleicht dachten die Briten, wenn sie
Essig mit Pommes aÃen, könnten sie sich den Salat sparen. Wenn es doch nur so
einfach wäre.
Nach einem kurzen Gespräch mit der Sekretärin des Masters vom St
Johnʼs College, bei der Pit erst seinen ganzen Charme einsetzte und ihr dann
ein kleines bisschen Angst einjagte, hatte er die Adresse des fraglichen
Hotels. Es war das Double Tree am Granta Place. AuÃerdem erfuhr er, dass
Teemeister Kokushi um ein weiteres Gespräch gebeten, der Master dieses jedoch
bisher nicht terminiert hatte.
Eine gute Viertelstunde später hämmerte Pit an die Tür des
Hotelzimmers 312. Der Teemeister öffnete, in Jeans und grauem Sweatshirt.
»Können Sie schwimmen?«
»Nein«, antwortete Kokushi, von dieser Frage völlig überrascht.
Seine Stimme war dünn, der Akzent deutlich.
»Wunderbar. Ich soll Sie im Auftrag des Masters vom St Johnʼs
College abholen. Sofort.«
Merkwürdigerweise schien die unvermutete Einladung den Asiaten nicht
zu wundern. Er griff sich eine abgewetzte Lederjacke und folgte Pit nach
drauÃen.
Eigentlich hatte der Professor ihn nur gebeten, diesen kleinen,
asiatischen Burschen zu ihm zu bringen. Pit wusste aber, dass Bietigheim vor
allem Antworten auf seine Fragen wollte, und wenn Pit sie ihm lieferte, umso
besser.
Dafür musste er nur darauf hoffen, dass Kokushi wenig über englische
Gebräuche wusste. Pit parkte in der Nähe des Mill Pond und mietete dort einen
Stechkahn. Der Teemeister trottete die ganze Zeit hinter ihm her wie ein
Entenküken hinter der Mutter.
Pit deutete in Richtung der Colleges. »Der Weg zum Master lässt sich
mit einem Stechkahn am schnellsten zurücklegen. Denn der Verkehr ist um die
Uhrzeit höllisch. Also rein mit Ihnen. Aber nicht hopsen!«
Der Teemeister nickte und stieg zögerlich ein.
Das Boot schwankte gefährlich.
Nach ein paar Staksern, die weitaus komplizierter waren, als Pit
vermutet hatte â ständig lief man Gefahr, dass der Stock im matschigen
Flussgrund stecken blieb â, richtete er das Wort an Kokushi. Er tat es laut und
mit bedrohlichem Unterton.
»Jetzt hören Sie gut zu, Meister. Ich kann diesen Kahn nicht fahren.
Die Chance, dass wir ins Wasser fallen, ist groÃ. Wenn Sie mir keine Antworten
geben, wird sie riesengroÃ. Dann kippe ich diese Schaluppe nämlich eigenhändig
um.«
»Sie kommen nicht vom Master?«
»Ich komme von Professor Bietigheim. Und der steht über allen.
Zumindest, wenn man ihn fragt.«
Pit stakte weiter, bis sie in der Mitte des Granta waren. Zwar war
der Fluss nicht tief, aber das wusste sein Passagier ja nicht.
Kokushi lehnte sich zurück. »Gut, fragen Sie. Ich antworte. Dann
wird niemand nass.«
»Was ist die sechste Schale?«
»Ich bin erstaunt. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet.«
»Beantwortet wird sie trotzdem.« Das Staksen fühlte sich ein wenig
an wie Gondoliere zu sein. Pit fühlte den Drang zu singen. »Alles klar auf der
Andrea Doria« von Udo Lindenberg kam ihm in den Sinn. Oder sollte er lieber den
Titelsong von »Titanic« schmettern? Den fand er zwar unter aller Sau, aber er
würde seinem Fahrgast damit sicher ein wenig Angst einjagen. »Also, was ist?«
»Der Ausdruck âºdie sechste Schaleâ¹ bezieht sich auf das âºGedicht
der sieben Schalen Tee⹠vom chinesischen Dichter Lu Tʼung aus der
Tang-Dynastie.« Kokushi befeuchtete seine Lippen, bevor er mit der Rezitation
begann. »Die erste Schale netzt mir Lippen und Kehle. Die zweite verscheucht
meine Einsamkeit, die dritte durchdringt mein unfruchtbares Inneres, um darin
nichts weiter als einige fünftausend
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