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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Halbkugel gab: die Royal
Botanic Gardens, besser bekannt als Kew Gardens.
    Bietigheim wollte immer schon mal dorthin.
    Pit hatte er das genaue Ziel nicht verraten. Denn der hätte sofort
begriffen, dass man in Gärten nicht mit dem Taxi fahren durfte – sondern gehen
musste. Und Gehen empfand Pit als Beleidigung für seine Füße.
    Sein Gemaule begann in dem Moment, als er mit seinen Schuhsohlen
festen Boden berührte. Erfreulicherweise begann Benno gleichzeitig glücklich
durch die seltenen Pflanzen aus aller Herren Länder zu jagen.
    Was selbstverständlich streng verboten war.
    Es gab etliches zu sehen in Kew Gardens, doch der Professor ließ
alles links liegen, ihn zog es zum 1861 errichteten Temperate House, dem »Haus
der gemäßigten Klimazonen«. Es war das größte viktorianische Glashaus der Welt,
umfasste knapp fünftausend Quadratmeter und war bis zu neunzehn Meter hoch.
Doch die Zahlen sagten nichts über die Schönheit des Gebäudes, die selbst
Adalbert Bietigheim den Atem raubte. Auch Pit schien für einen kurzen
Augenblick einmal nicht an ein perfekt gegrilltes Porterhouse-Steak zu denken.
Das Temperate House war ein Palast aus Licht, die Strahlen der Sonne sprangen
hinein, als könnten sie es gar nicht erwarten.
    Fast ehrfürchtig traten sie ein, und selbst Benno verzichtete
darauf, alles anzubellen. Im Inneren empfingen sie eine angenehme Wärme und
eine besinnliche Stille, so als könnte man das Schweigen der unzähligen
Pflanzen hören. Das weiß gestrichene Metall bog sich behütend über die Pflanzen
und sah dabei aus, als wäre es selbst ein Gewächs und nicht geschmiedet. Die engen
Wendeltreppen waren über und über bewachsen, das Glashaus war eins mit dem
geworden, was es in seinem Inneren schützte. Eine Zeit lang blickten sie
versonnen auf den Seerosenteich, doch dann entschied Bietigheim, dass es Zeit
war, nach Michael zu suchen.
    Sie teilten sich auf und durchstöberten das riesige Gewächshaus.
Jeden Winkel, jede Wurzel, jedes große Blatt.
    Das brauchte Zeit.
    Doch dann erklang ein scharfer Pfiff. Er stammte von Pit.
    Bietigheim ging strammen Schrittes in seine Richtung und fand seinen
Hamburger Freund schließlich vor der Camellia sinensis – der Teepflanze. Der
Hüne zeigte auf das Beet dahinter, wo zusammengerollt ein laubgrüner Schlafsack
lag. Daneben eine schwarze Reisetasche, notdürftig mit Humus bedeckt.
    Sie beschlossen zu warten.
    An beiden Eingängen.
    Eine gute halbe Stunde später traf Michael ein. Zu seinem Pech auf
der Seite, die Pit bewacht hatte. Mit seinen massigen Händen drückte er den
jungen Mann umgehend Richtung Bietigheim.
    Â»Lassen Sie mich los! Das tut weh!« Nach kurzer Zeit stand Michael
vor dem Professor. »Ich hätte wissen müssen, dass Sie mich finden! Wie sind Sie
denn darauf gekommen?«
    Bietigheim tippte an seine Schläfe. »Es ist stets von Vorteil, ein
funktionsfähiges Gedächtnis sein Eigen zu nennen. Bei unserem ersten Treffen,
damals am Granta, als Sie mich für die ›Cambridge Evening News‹
interviewten, erzählten Sie begeistert von Ihrem Job in Kew Gardens. Es klang
nach einer prägenden Zeit für Sie. Und wer würde hier schon jemanden vermuten?«
    Michael nickte. »Wann trifft die Polizei ein?«
    Â»Wollen wir uns nicht setzen?«, fragte Bietigheim.
    Â»Ich würde lieber stehen.«
    Â» Setzen Sie sich!«
    Michael setzte sich. Und Benno auch. Das musste der Professor sich
merken.
    Â»Und jetzt erzählen Sie endlich.«
    Mit einem Schlag war Michaels Stimme heiser, und der Professor sah,
wie seine Hände leicht zitterten. »Mir war sofort klar, was Ihnen der
Nightclimber sagen würde. Er war mir in der Nacht aufgefallen, seitdem hatte
ich ständig Panik, dass die Polizei mich abholt. Deshalb bin ich abgehauen,
Hals über Kopf, als Sie sich mit ihm getroffen haben. Ich wusste nicht, wohin,
wusste nicht, wo mich niemand finden würde. Außer hier.« Er blickte Bietigheim
lange an. »Wieso sitzen Sie so ruhig neben mir? Ich bin schließlich ein … Mörder.«
    Â»Nein, sind Sie nicht. Sie haben die Leiche des 17. Earl von
Shropsborough im Boot drapiert, aber getötet haben Sie ihn nicht. Sie brauchen
nicht so verständnislos zu schauen. Wer jemanden kaltblütig tötet, der gibt
sich nicht dermaßen Mühe mit der … wollen wir es

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