Der letzte Aufguss
âºJadeprinzessinâ¹
und sogar eine âºTigerkrallenwandâ¹.« Fast kam es dem Professor vor, als
bildeten die Rauchschwaden aus Colins Pfeife die faszinierende Landschaft nach.
»Der Jiuqu Xi, also der Fluss der neun Biegungen, mäandert durch diese
Landschaft. Wir reisten auf BambusflöÃen, wobei der Fluss manchmal so tief ist,
dass die FlöÃer den Grund mit ihren Stäben nicht mehr erreichen konnten.
Abenteuerlich, wirklich abenteuerlich. Aber es ist jede Mühe wert, denn der Tee
ist phantastisch. Der ungemein mineralische Boden ist dafür verantwortlich â
wobei der Tee je nach Schlucht ein wenig anders schmeckt. Früher wurden die
Steintees ausschlieÃlich für den Kaiserhof produziert, was sich erst änderte,
als China zur Republik wurde â allerdings wurden sie dann zu einem unglaublich
teuren Vergnügen. Aber das wissen Sie selbstverständlich alles.«
Bietigheim lehnte sich vor und war froh, dass Benno in diesem Moment
an seine Seite tapste â wenn auch nur, um sich auf dem Rücken zu wälzen,
anstatt wie es angebracht wäre, gefährlich zu blicken. Denn der Professor war
wütend. Er hatte ein Glänzen in Colins Augen gesehen, als er von den Steintees
erzählte.
Das konnte nur eines bedeuten.
»Sie wollten nicht irgendeinen Steintee, nicht wahr? Ihnen ging es
um den Da Hong Pao, das GroÃe Rote Gewand â und zwar von den ursprünglichen
Sträuchern!« Colins starrer Blick war vielsagend. »Schauen wir, ob ich mich an
die Details erinnere â woran ich allerdings nicht den geringsten Zweifel hege.
Die Mutter eines Kaisers der Ming-Dynastie wurde durch Tee von einer schweren
Krankheit geheilt. Daraufhin lieà der Kaiser die vier Sträucher, von denen der
Tee stammte, von groÃen, roten Roben schützen. Drei dieser Büsche gibt es heute
noch. In manchen Jahren wird weniger als ein Kilogramm von ihnen geerntet â und
der GroÃteil davon verbleibt bei der chinesischen Regierung. Falls der Tee
überhaupt einmal aus dem Land gelangt, wären dreiÃigtausend Dollar pro
Kilogramm ein echtes Schnäppchen. Wobei es sich dabei nicht einmal um den
echten Tee handelt, also von den drei letzten Büschen. Man hat Stücke der
Pflanzen abgeschnitten und zu genetisch identischen vermehrt. Doch dasselbe ist
dies nicht, denn der Boden ist anders, das Kleinklima und natürlich das Alter
der Pflanzen. Es ging Ihnen beiden darum, Blätter der Original-Sträucher zu
pflücken und sie dann zu Tee zu verarbeiten. Ein Frevel!«
Colin schaute zu Boden, die Pfeife hing in seinem Mund, doch er zog
nicht mehr daran. »In der Tat«, sagte er schlieÃlich. »Wir waren jung und dumm,
wollten Eindruck schinden, fühlten uns wie Indiana Jones. Tim schrieb eine
Arbeit darüber, die später der Grundstein seiner Karriere wurde. Er berief sich
auf chinesische Quellen, die es nicht gab, um zu vertuschen, dass er sein
Wissen über den Da Hong Pao aus erster Hand hatte.«
»Warum habe ich von dieser Arbeit nie etwas gehört?«
»Sie erschien nur im Rahmen einer kleinen wissenschaftlichen
Zeitschrift, die sich mit Pflanzen befasste und kurz danach eingestellt wurde.
Kulinaristik gab es damals als Wissenschaft ja noch gar nicht. Tim achtete sehr
darauf, dass die Arbeit nicht mehr auftauchte, aus Sorge, der Diebstahl käme
noch heraus. Er hatte Angst, seine Stellung zu verlieren, aber noch mehr Angst
vor den Kommunisten.«
Bietigheim brannte trotz der Wut eine ganz besondere Frage auf den
Nägeln. »Wie schmeckte der Tee?«
Colin stand auf und ging zu einer Truhe. Er hob den schweren Deckel
und beförderte ein durchsichtiges Einmachglas heraus, in dem einige schwarze,
verschrumpelte Teeblätter lagen. Der Steintee war ein extrem seltener Oolong
und sah aufgrund seiner starken Oxidation fast wie Schwarztee aus. Colin
reichte Bietigheim das Glas. Dieser öffnete es und schnupperte an den
Teeblättern.
»Es sind die letzten«, sagte Colin. »Alle anderen haben wir für
Analysen benötigt â und um Tee damit aufzusetzen.«
Der Professor schüttete den gesamten Inhalt auf seine Hand und
schnupperte weiter. Selbst jetzt, nach so langer Zeit, war seine starke
Fruchtigkeit und SüÃe noch spürbar, köstliche Noten von Beeren, Kakao und Honig
entströmten ihm.
»Er wird traditionellerweise in kleinen Kännchen mit einer Füllmenge
von zweihundert
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