DER LETZTE BESUCHER
machte sich dann auf den Weg in die Mendelssohnstraße.
Der Türsummer wurde betätigt, kaum dass er auf den Klingelknopf gedrückt hatte. Offensichtlich hatte Helen Bergmann am Fenster gesta n den und ihn kommen sehen. Becker betrat das dämmrige Treppenhaus des gepflegten Jugendsti l altbaus und stieg die breiten Treppen hinauf. Er musterte das messingve r zierte Treppengeländer, die helle Stuck decke und die glänzenden Marmorsäulen auf jedem Treppenabsatz. Die Wohnungen in diesem Haus waren s i cher nicht gerade billig. Sein bescheidenes Bea m tengehalt würde bestimmt dafür nicht ausreichen. Das Erste, was er wahrnahm, als er den Treppenabsatz im zweiten Stock e r reicht hatte, waren zwei große dunkle Augen , die ihm än g stlich entgegenblickten. Das kleine blasse Gesicht wurde von der braunen Haarflut, die es umgab , fast e r drückt . Die schmale Gestalt darunter e r trank fast in einem übergroßen hellgrauen Pullover über ebenfalls hellgrauen Leggins . Sie hatte den rechten Arm wie schützend unter den linken g e legt, der geschient war und in einem schwarzen Tragetuch steckte. Die Wohnung s tür stand weit offen und gab den Blick in eine groß e Diele und den dahinter liegenden Woh n raum frei. Er stellte sich vor und zeigte Helen seinen Die n stausweis, den sie au f merksam studierte.
„Mordkommission? Sie sind bei der Mordkommission? Aber es war doch nur ein Unfall “, flüsterte sie kaum hö r bar.
Im Treppenhaus entstand Bewegung und eine Tür kla p pte, und so sagte er schnell: „Vielleicht sprechen wir besser drinnen in Ihrer Wohnung weiter, darf ich herei n kommen?“
„Selbstverständlich, entschuldigen Sie bitte . Hier en t lang“. Sie wies mit dem gesunden Arm in Richtung Woh n zimmer und schloss die Tür hinter ihm. Der Raum, in den sie ihn führte, wollte so gar nicht zu der zarten schüchternen Gestalt passen. Große ausladende dunkle Lede r polster auf Eichenparkett, einige teuer au s sehende Brücken. An der einen Wand ein schwerer Frankfurter Schrank, an der gegenüberliegenden Regale mit Büchern , einigen silbe r gerahmten Foto g rafien und einer aufwändigen Musikanlage. In der Ecke ein großer Flachbil d f ernseher. An den Wänden ringsum moderne Bilder , die dem u n geschulten Auge des Betrachters nicht verrieten, ob es sich um Kopien oder um Originale ha n delte.
„Frau Bergmann, ich muss zuerst ein Missverständnis aufklären. Ich komme nicht wegen Ihres Unfalls“, begann Becker und stockte. Die großen Augen, die ihn unverwandt ansahen, irritierten ihn. Als sie nicht antwortete, sondern for t fuhr ihn anzu schauen , gab er sich einen Ruck und redete schnell weiter : „Ich komme zu Ihnen, weil ich ve r mute, dass Sie Sabine Schneider kan n ten . Oder irre ich mich da?“
„Nein. Natürlich kenne ich sie .“ Sie unterbrach sich: „ Sagten Sie gerade ´ka nnten ´ ? Um Gottes willen, was ist denn mit Sabine? Ist ihr ... was passiert … ? “
Ihr Blick war ängstlich , und ihre gesunde Hand tastete unruhig auf dem Tragetuch hin und her. Der Kommissar verspürte plötzlich den dri n genden Wunsch , diese Hand in seine beiden Hände zu nehmen, um sie zu beruhigen. Ene r gisch rief er sich zur Ordnung und fuhr betont sac h lich fort:
„Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Frau Schneider tot ist. Ihre Leiche wurde am Dienstag verga n gener Woche in ihrer Wo h nung in der Schwanthaler Straße auf gefunden. Die Todesu r sache steht noch nicht endgültig fest, mö g licherweise handelt es sich um Mord. “
Helen saß wie erstarrt, nur ihre Lippen bewegten sich unmerklich , aber sie brachte kein Wort heraus . Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, schien es, als sehe sie du rch ihn hin du rch. Nach einiger Zeit sprach Becker behu t sam we i ter:
„ Wir befragen jetzt natürlich alle, die die Tote gekannt haben . Und da wir in der Wohnung von Frau Schneider einen Zettel mit Ihre r Adresse und Ihrer Telefonnummer g e funden haben , bin ich jetzt hier bei Ihnen.“
„Aber Dienstag, das war doch der Tag, an dem sie mi t tags noch hier bei mir war und an dem ich dann … “
Sie brach ab, und plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie schluckte und begann dann wieder: “Was ist denn überhaupt passiert ? Wer hat das g e tan und wann ist sie ... ich meine, wie ... ? “ W ieder stockte sie.
„ Den genauen Hergang kennen wir noch nicht . Aber e rzählen Sie mir bitte zuerst einmal, in welchem Verhäl t nis Sie zu
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