Der letzte Drachenlord - Hatfield, M: Der letzte Drachenlord
Schriftrolle, über die er mit seiner Schwester gesprochen hatte. Daneben lag der Kristall.
Ihr Herz hämmerte wild. Sie sah noch genau vor sich, wie Declan den Kristall aus seinem eigenen Körper gezogen hatte. Erinnerte sich auch wieder an die Nacht, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Als er zum ersten Mal ihr Blut getrunken hatte. Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich, wie er sich über sie beugte. Er war ihr Gefangener gewesen, und sie hatte mit eigenen Augen zugeschaut, wie die Wunde sich wie von selbst schloss. Er hatte den Kristall in seinem eigenen Körper versteckt. Und es war ihr Blut gewesen, durch das die Wunde so schnell heilen konnte. Und den Kristall hatte niemand entdeckt.
Eigentlich wollte sie die Schriftrolle lesen, doch es war der Kristall, der ihre Aufmerksamkeit gefangen nahm, kaum hatte sie die Augen wieder geöffnet. Ihre Hand schloss sich um den kalten Stein. Er war nicht größer als ein Apfel und wog kaum mehr als ein Pfund. Sie hielt ihn in der offenen Handfläche und starrte auf Lichtstreifen in allen Farben des Regenbogens, wie in einem Kaleidoskop. Drei Kreise umgaben einen hell leuchtenden Ring in der Mitte. Das war das Zentrum der Macht. In dem schummrigen Licht war das Innere des Kristalls so klar, als würde er aus Flüssigkeit bestehen. Es war unglaublich, dass etwas so Schönes so viel Hässliches auslösen konnte.
Beim Gedanken an Lotharus kochte in ihr die Wut hoch. Sie ballte die Faust um den Stein und legte sie an ihre Stirn. Der ganze Arm zitterte. Sie holte tief Luft und wartete, bis der Zorn abklang. Aber sie hatte nur noch einen einzigen Gedanken im Kopf: diesen Kristall zu zerstören. Alexia holte aus, um das Ding an der nächsten Steinmauer in tausend Teile zu zerschmettern und mit ihm die Tyrannei, die darin lag. Aber sie hielt sich zurück.
Lotharus würde ihr niemals abnehmen, dass sie den Kristallzerstört hätte. Zu einer Schlacht würde es so oder so kommen, aber dann hätte niemand mehr etwas in der Hand, worum man verhandeln könnte.
Sie ließ die Hand sinken und blickte zum Bett. Declan schlief tief und fest. Sein hübsches Gesicht wirkte ganz entspannt und friedlich. In seinem Nacken kräuselte sich dunkles Haar. Die Decke war ihm über die Hüfte gerutscht, er hatte ein Bein darübergeschlungen, fast sein ganzer Körper bot sich ihren Blicken dar. Ein Körper, den sie nie wieder vergessen würde. Sie wusste genau, jedes Mal wenn sie nachts allein in ihrem Zimmer die Augen schloss, würde sie dieses Bild vor sich sehen.
Allein in den Gemächern der Königin.
Der Gedanke, in die Katakomben und zu ihren Pflichten zurückkehren zu müssen, war unerträglich. Sie schluckte. Doch ihre hoffnungslose Beziehung zu Declan hatte sie schon gestern Abend betrauert, als sie ihm erfolglos verständlich zu machen versuchte, dass sie keine andere Wahl hatte, als zu ihrer Horde zurückzukehren. Denn dort lag schließlich ihr Zuhause, ihre Zukunft, ihre Bestimmung. Er mochte mit seinen Küssen jeden zusammenhängenden Gedanken und jede Vernunft aus ihr ausgetrieben haben, aber an den Tatsachen war nun einmal nicht zu rütteln.
Sie konnte nicht hierbleiben. Sie konnte das Volk, das ihr vertraute, nicht Lotharus und seinen finsteren Plänen überlassen. Nein, auf keinen Fall. In weniger als vierundzwanzig Stunden würde sie den Thron besteigen und Königin werden und damit das Oberkommando über die ärgsten Feinde der Drachen übernehmen. Zumindest konnte sie jetzt hoffen, dass in der Beziehung, die sie zu Declan aufgebaut hatte, die Chance für eine Zukunft in Frieden liegen könnte. An diese Chance musste sie einfach glauben. An die Hoffnung, dass sie sich am Ende nicht wieder auf der Klippe über den Katakomben gegenüberstehen würden, nur umeinander bis auf den Tod zu bekriegen.
Ich liebe sie.
Diese Worte hallten ihr noch in den Ohren. Aber das süßeEntzücken über sein Geständnis gegenüber seiner Schwester verwandelte sich in Bitterkeit, noch bevor sie es richtig genießen konnte. Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie. Nicht in dieser Welt. Ganz gleich, wie sehr sie sich das wünschte. Ganz gleich, mit welcher Mühe er sie vom Gegenteil überzeugen wollte. Aber vielleicht schafften sie es, als Oberhäupter verfeindeter Horden zusammenzuarbeiten, so qualvoll das für sie beide auch sein mochte, dann könnten sie womöglich eine lebenswerte Zukunft gestalten. In der Drachen und Vampire friedlich nebeneinanderleben konnten. Eine Welt, in der ihre
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