Der letzte Karpatenwolf
aus dem Lager. Es war die Zeit, die sie abgewartet hatte. Während der Ablösung gab es einige wenige Minuten, in denen die Aufmerksamkeit nachließ, weil sich die Männer begrüßten.
»Komm!« sagte sie leise. »Es ist soweit …«
Michael blieb liegen. Er krallte seine Finger in Veras Arme.
»Komm mit!« bettelte er.
»Es geht nicht, Mihai …«
»Ich … ich liebe dich doch …«, stöhnte er.
Es war das erstemal in seinem Leben, daß er so etwas aussprach. Nie hatte er einem Mädchen gegenübergestanden, dem er sagen konnte, daß es mehr für ihn sei als eine Gespielin, ein Nachbarskind, eine Göre, die wie er im Sand spielte, im Bach die schmutzigen Füße badete oder Sauerampfer kauend die Heidschnucken hütete. Als er begann, die Mädchen anzusehen, und merkte, daß es Unterschiede gab … schlankere Beine, rundlichere Hüften, blitzendere Augen und begehrlichere Lippen … da wurde er eingezogen, lernte schießen und laufen, Maschinengewehre reinigen und Granatwerfer bedienen.
In Rußland sah er dann Mädchen … sie trafen nicht sein Gefühl. Am Prut lernte er ein Mädchen kennen … sie lag im Straßengraben und bot sich ihm für ein halbes Brot an. Er ließ es angewidert liegen und rannte fort, als er sah, wie ein anderer Soldat dem Tauschhandel zusprach.
Vera Mocanu schwieg. Sie hatte die Augen geschlossen und schüttelte den Kopf. Michael umklammerte immer noch ihren Arm.
»Ich habe das noch nie gesagt. Glaub es mir, Vera …«
»Ich glaub es dir, Mihai …« Vera drehte den Kopf mit einem Ruck zu ihm. »Komm jetzt … Sonst ist es zu spät. Jede Minute schließt sich mehr die Lücke.«
»Ich gehe nicht ohne dich!« sagte Michael fest.
»Und was willst du mit mir? Soll ich mit dir nach Deutschland gehen?«
»Ja!«
»Ich verlasse Rumänien nicht.«
»Dann bleibe auch ich.«
»Und was wird aus deinen Eltern? Aus dem Hof, von dem du mir erzählt hast und den du einmal erben wirst? Das willst du alles aufgeben, wegen einer Frau?« Vera richtete sich auf den Knien auf. »Wenn du wüßtest, wie wenig wert wir es sind! In ein paar Jahren lächelst du über dich, daß du so etwas gesagt hast. Wir würden uns lieben, ja … aber wie dieses Feuer da wird einmal die Glut verlöschen, und dann sind wir uns nur noch eine Last. Und es wird geschehen, was wir heute schon vorwegnehmen … wir werden auseinandergehen. Nur werden wir dann wertvolle Jahre verloren haben. Und darum mußt du jetzt gehen …«
Sie riß sich aus seinen Fingern los und stellte sich in den Felsschatten. Die Ablösung war aus dem Lager marschiert. Bis zum Einrücken der abgelösten Wachen würde eine Stunde vergehen. Eine stille Stunde, in der man glauben konnte, in einer ausgestorbenen Höhlenstadt zu sein.
»Hast du alles?« fragte sie leise.
»Ich will dich haben!« sagte Michael trotzig wie ein Kind.
»Hast du das Verbandszeug? Den Kompaß? Hast du genug Munition mitgenommen?«
»Kommst du mit?« fragte Michael laut.
Sie schraken beide vor dem Klang der Stimme zusammen. Eng preßten sie sich an den Felsen. Aber im Lager rührte sich nichts. Vielleicht war es doch nicht so laut gewesen, und nur in die Spannung ihrer Sinne war die Stimme wie ein Donnerschlag gefahren.
»Gut. Ich komme mit«, sagte Vera Mocanu. »Ich bleibe bei dir …«
Michael umarmte sie. Er küßte Vera, und es war sein erster Kuß, bei dem er das Gefühl hatte, er möge unendlich sein, oder mit diesem Kuß und diesem Gefühl müßte das Leben aufhören.
»Und jetzt – komm«, sagte Vera Mocanu. Sie nahm Michaels schlaffe Hand und zog ihn mit sich fort in die Schlucht.
Drei Stunden lang schlichen oder krochen sie durch den Schnee. Sie kamen an den Posten Tripadus' vorbei … sie unterhielten sich mit der Ablösung, wie es Vera vorausgesagt hatte. Ungehindert krochen sie durch das Unterholz, über vereiste Felsblöcke und durch Gräben, die die Wildwasser im Frühjahr in die Erde reißen.
Es wurde fahler Morgen, ehe sie außerhalb der letzten Postenkette waren. Vera Mocanu sah es an den Bergformen. Von Tripadus wußte sie, wie weit die vorgeschobenen Wachen standen. Tripadus sprach nicht von Entfernungen, sondern von festen Punkten: Die Postenkette hört bei den Bergen mit der runden Kuppe auf … Oder: MG-Stand III ist bei dem Wald, der 200 Meter auf der Südseite des kahlen Felsens emporklettert. So wußte sie, daß Michael frei war, aber sie sagte es ihm nicht.
»Warte hier«, flüsterte sie, als könnten noch Patrouillen unterwegs sein. »Ich
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