Der letzte Karpatenwolf
Truhe geholt und für das Osterfest in Ordnung gebracht.
Sonja nähte neue Stickereien an den großen runden Ausschnitt ihres weißen Wollhemdes. Anna, die Mutter, fädelte bunte, schillernde Glasperlen auf … sie sollten um den weiten Wollrock klirren, wenn Sonja mit den jungen Burschen auf dem Dorfplatz tanzte. Vater Mihai Patrascu schnitt auf dem Holztisch Tabak mit einem großen, scharfen Messer. Er war einer der wenigen Bauern, die etwas Tabak bauten und von der guten Lagerung etwas verstanden. Zu Ostern verschenkte er unter die Alten, die den Tanzplatz umstanden, kleine Beutel mit seiner gehackten Ernte. Es war seit Jahren so Brauch in Tanescu und gehörte zum Osterfest wie die Worte des Popen: »Christus ist auferstanden!« Worauf die Bauern laut antworteten: »Er ist wahrhaftig auferstanden!«
In diese Vorbereitungen hinein kam Stepan Mormeth.
Das Auftauchen einer russischen Uniform bedeutete für Patrascu nie etwas Gutes. Wie die anderen Bauern galt er als nicht sehr stalinfreundlich. Mürrisch hatte er zwei Schulungsabende besucht, die ein Funktionär aus Bacau im Laufe des Winters gehalten hatte. Er hatte etwas von Bodenreform gehört, von Allgemeinbesitz, von Enteignung der Großbauern und der Hand des Staates, die jetzt alles lenken würde.
»Auch das Mistfahren?« hatte jemand im Saal laut gefragt. Es war nie herausgekommen, wer es gerufen hatte. Der Funktionär reiste wieder nach Bacau. Aber hinter den Ortsnamen Tanescu machte er ein großes Fragezeichen. Die Sache mit dem Mistfahren war weltanschaulich gefährlich.
»Was suchst du, Genosse?« fragte Patrascu. Er behielt das Messer, mit dem er Tabak schnitt, in der Hand. Da erkannte er Stepan Mormeth und sagte etwas besänftigt: »Ach – der Zigeuner! Wo kommst du denn her? Ich denke, dich haben sie aufgehängt in Bacau?«
Mormeth zwang sich, den frommen Wunsch zu überhören. Er lächelte Sonja breit an, die eine Glasperlenstickerei auf den Rocksaum nähte. Sie war jetzt etwas über fünfzehn Jahre alt, wohlgebaut und doch schlank, mit langen Beinen, enger Taille und geschwungenen Hüften und Brüsten. Ihr langes, schwarzes Haar trug sie noch lose auf die Schulter herabfallend. Ein Schleier, den der Wind um ihren Kopf und Oberkörper schlang, wenn sie über die Straße lief oder zum Brunnen.
»Ich wollte etwas fragen«, sagte Mormeth und ließ den Blick nicht von Sonja.
»Dann frag's, Genosse.«
»Übermorgen ist Ostern, und sicherlich geht Sonja zum Tanz, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Sonja, ehe der alte Mihai antworten konnte.
»Ich wollte dich fragen, ob du mit mir tanzen wirst.« Mormeth strahlte Sonja aus seinen schwarzen Augen an. Der Rosengeruch seines Haares durchzog den Raum. »Ich möchte dich einladen, Sonja …«
»Sonja geht mit uns!« rief der alte Patrascu laut. »Mach dir keine Hoffnungen, Zigeuner …«
»Ich bin ein Soldat des großen Stalin!« rief Mormeth, rot werdend.
Das ist fast noch schlimmer, als daß du ein Zigeuner bist, dachte Mihai Patrascu. Er hob die Faust mit dem Messer, ließ sie auf den Tisch fallen und trieb die Messerschneide bis zur Hälfte in das alte Holz. O ja, er hatte noch Kraft, der alte Holzfäller und Bauer Patrascu. Mormeth starrte auf das halb im Tisch versenkte Messer.
»Sonja wird mit dem tanzen, den wir aussuchen!« sagte er grob. »Und jetzt troll dich, Zigeuner …«
Wortlos ging Mormeth aus dem Zimmer. Er zitterte vor Wut und Scham, aber er beherrschte sich, ging zum Wachhaus zurück und brachte es sogar fertig, zu lächeln, als er die Stube betrat. Der Feldwebel saß in einem geflochtenen Sessel und las die neue Staatszeitung ›Scienteia‹, die in Bukarest in einer Millionenauflage erschien und das offizielle Organ der Partei war.
»Na?« fragte der Feldwebel. »Ist das Dirnchen bereit?!«
»Ja!« lachte Mormeth, obwohl er fast zersprang. »Ja – ihr werdet staunen! Die Hübscheste von Tanescu!«
Das Osterfest war nicht so lustig wie sonst. Das Kriegsende stand bevor. Man hörte so vieles. Die Deutschen kämpften um Berlin, die Amerikaner rollten durch Deutschland, überall siegte der Russe. Es war schrecklich für die nationalgesinnten Rumänen. Wenn Rußland den Krieg gewann – so argwöhnten sie –, würden die Sowjets nie mehr aus Rumänien herausgehen. Dann schluckten sie das Land einfach … und keiner war mehr auf der Welt, den es kümmerte oder der es unrecht fand. Denn die Welt und ihre Moral waren gestorben.
Der Pope hatte gepredigt, die Osterküsse waren
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