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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihnen vorbei. Wieder verneigte sich Herberg tief. Er spielte den Deppen vollkommen … fast war es, als sei er wirklich so geworden. Wer über ein Jahr lang den Schwachsinnigen spielt, gewöhnt sich fast an diese Rolle.
    »Ich bringe Sonja mit …«
    »Welche Sonja?«
    »Die Patrascu. Ich habe sie in Krankenpflege unterrichtet. Sie kann mir gut helfen. Du kannst ja den Taubstummen weiterspielen. Sie wird nie die Wahrheit erfahren.«
    Grigori nickte. »Er hat die Schulter zerrissen … vielleicht mußt du nähen.«
    »Ich bringe alles mit … Und nun geh! Nimm den alten Weg um die Feuer, tanze einmal … das gibt Spaß, und keiner ahnt etwas.«
    Georghe Brinse ging langsam im Schatten der Kirche vom Festplatz weg. Paul Herberg tappte zurück zu den Tanzenden. Er sah den Musikanten auf die Finger, als könne er von ihnen die Töne ablesen. Dazu wiegte er seinen massigen Oberkörper, aber immer kam er außer Takt, und unter dem Gebrüll der jungen Bauern tanzte er entgegen aller Melodie um die Feuer. Ein Harlekin, dem der Tod im Nacken hockte, wenn die Maske abfiel.
    Nach allen Seiten winkend, den Mädchen Kußhände zuwerfend, ging Grigori, der Blöde, vom Festplatz weg. Als er außerhalb des Lichtscheines war, begann er zu rennen, mit langen, schnellen Schritten, fast unhörbar trotz seiner Massigkeit.
    Am Aufstieg zu den Bergwiesen erwartete ihn schon der alte Arzt Georghe Brinse. Er hatte seine Tasche bei sich. Neben ihm hockte auf einem großen Stein ein Mädchen, die langen Haare durch ein Kopftuch verdeckt. Es hatte einen großen Beutel vor sich stehen.
    Paul Herberg musterte kurz das Mädchen. Das ist Sonja Patrascu, dachte er. Ein junges, hübsches Ding. Und junge, hübsche Mädchen sind geschwätzig.
    Er vergaß einen Augenblick seine Rolle und wollte etwas sagen. Brinse hob schnell genug den Arm. Herberg atmete laut und grinste dann Sonja an.
    »Opeiopeiopei!« rief er und schnalzte mit der Zunge.
    »Komm!« sagte Georghe Brinse zu Sonja. »Und hab' keine Angst. Du kennst doch den dummen Grigori … Ein Glück, daß er taubstumm ist und uns nicht verraten kann.«
    Langsam stiegen sie in die Berge hinein, den Wiesen am Waldrand entgegen.
    Michael stand am Fenster und starrte in die Nacht. Er sah sie kommen … drei Schatten nur, durch die Dunkelheit gleitend.
    Auch hier kann ich nicht bleiben, dachte er. Die ganze Zeit über hatte er daran gedacht. Zwei blöde Hirten glaubt uns keiner … Paul Herberg hatte recht. Aber wo wollte er hin? Wieder zurück in die Felsen, in Höhlen wohnen, mit sich selbst sprechen, den Hasen auflauern und von Wurzeln und Beeren leben … Nein! Nein! Nein!
    Er war am Ende seiner Kraft. Er sah den drei Schatten entgegen als ein Wehrloser vor dem Schicksal.
    Gehorsam legte er sich wieder auf das Bett, wie es Paul Herberg befohlen hatte. Er schloß die Augen und spielte den Schlafenden. Die Schulter schmerzte höllisch. Als er lag, fiel ihm ein, daß die Spiegelscherben noch auf der Erde lagen. Aber es war jetzt zu spät, noch aufzuspringen und sie unter den Tisch oder in eine Ecke zu fegen … er hörte eine dunkle Stimme und dazwischen den hellen Ton einer Mädchenstimme.
    Ein Mädchen, dachte er. Warum bringen sie ein Mädchen mit? Was soll ich mit einem Mädchen? Oder ist es eine Ärztin?
    Er blinzelte zur Tür hinüber.
    Das Vorhängeschloß klirrte, die Holzbretter knirschten in den Angeln, von dem plötzlichen Luftzug begann die Öllampe zu pendeln. Drei Gestalten kamen in die Hütte. Zwei Männer und tatsächlich ein Mädchen.
    Michael drückte die Lider fest zu. Er hörte, wie die drei Eintretenden näherkamen … ein heller Schein traf seine Augen durch die Lider … Paul Herberg mußte die Öllampe herangezogen haben und leuchtete ihm ins Gesicht.
    »Er ist es …«, sagte die Mädchenstimme leise. »Und er schläft … Erkennst du ihn wieder, Onkel Georghe …«
    »Unser vereiterter Fuß. Tatsächlich.« Georghe Brinse beugte sich über Michael. Er betrachtete das eingefallene, blasse, struppige Greisengesicht, das einem halben Kind gehörte. »Wie er aussieht …« Er sah zu Grigori, dem Blöden, auf. »War er die ganze Zeit in den Bergen?«
    Herberg sah Brinse dumm an. Er war ja taubstumm. Brinse nickte. Er hatte sich einen Augenblick vergessen.
    »Er hat tatsächlich die ganze Zeit wie ein Wolf gelebt«, sagte er zu Sonja Patrascu.
    Sie hatte den Beutel ausgepackt und alles, was sie mitgebracht hatte, auf den Tisch ausgebreitet. Seife, ein Handtuch, ein Rasiermesser,

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