Der letzte Karpatenwolf
Kammer.« Georghe Brinse trocknete sich die Hände ab. »Wir werden ihn zu euch bringen …«
»Zu uns? Das ist unmöglich, Onkel Georghe.«
»Warum unmöglich …?«
»Väterchen wird es nie zulassen!«
»Ich werde mit deinem Väterchen schon sprechen! Morgen nacht tragen wir ihn ins Dorf. Du bleibst bei ihm. Ich werde jetzt gleich mit Mihai Patrascu sprechen! Er ist doch ein Christenmensch wie wir.«
»Aber er hat Angst …«
»Wir wollen sehen.« Georghe Brinse ging noch einmal zu Michael und hob die Lider hoch. Er schlief fest. Das Fieber begann, sein wie Leder wirkendes Gesicht zu röten. Schweiß perlte auf der Stirn und lief die Hautrillen hinab über den Mund in den Hals. »Wir müssen ihm noch etwas gegen das Fieber geben … Er hat ja ein starkes Herz …«
Brinse machte noch eine Injektion. Aus einer Ampulle mit russischen Zeichen zog er die Spritze auf, stach die dünne Nadel in die Vene und injizierte langsam in die Blutbahn.
»Das wird helfen«, sagte er, als er die Nadel mit einem Ruck aus der Armvene zog. »Morgen wird er anders aussehen … wieder wie ein Mensch.«
Der blöde Grigori begleitete den Arzt aus der Hütte, den Wiesenhang hinab. Sonja setzte sich zu Michael neben das Bett, legte ein mit kaltem Wasser getränktes Handtuch auf die heiße Stirn des Fiebernden und drehte die Öllampe niedriger.
»Mihai …«, sagte sie zärtlich. »Ich jage dich nicht weg wie diese Vera Mocanu!« Sie glaubte fest, daß Michael von Vera verraten worden war. »Wenn ich sie sehe, werde ich ihr das Gesicht zerkratzen … Ja, das tue ich!«
Wilde Entschlossenheit war in ihrer Stimme.
Langsam stiegen Brinse und Paul Herberg die Wiese hinab nach Tanescu. Der Schein der Feuer lag unter dem Nachthimmel wie eine Lichtglocke. Schwach wehte der Klang von Geigen, Flöten und einer Trommel zu ihnen hinauf. Man tanzte noch immer … bis zum Morgengrauen spielten die Musikanten. Wozu war man jung? Und der Krieg war vorbei! Man hatte ihn überlebt … ist das kein Grund, zu feiern wie noch nie in diesem Leben?
Als sie mitten auf der Wiese waren und die Gefahr ausgeschaltet war, daß jemand sie hören konnte, begann Paul Herberg wieder zu sprechen.
»Wird er durchkommen, Doktor?«
Georghe Brinse zuckte zusammen. Der plötzliche Ton neben ihm hatte ihn erschreckt.
»Aber ja, ja. Warum soll er sterben?«
»Das Fieber! Wenn er den Wundbrand bekommt … Zwischen den Zähnen der Wölfe hängt immer verwestes Fleisch. Ich habe gehört …«
»Gott wird helfen.«
Paul Herberg blieb stehen. Sein breites Gesicht lag in der Schwärze der Nacht. Man sah es nicht, aber seine Stimme verriet, was er dachte.
»Wollen wir uns nur auf ihn verlassen?«
»Du solltest nicht so reden, Grigori!« Brinse klopfte Paul Herberg gegen die breite Brust. »Geh jetzt zurück. Und vergiß nicht, daß du taubstumm bist.«
»Woher kennt er diese Sonja?«
»Als die deutsche Armee zusammenbrach, war er schon einmal hier … mit drei anderen deutschen Soldaten. Sie wurden in einer Höhle gefangen und nach Focsani ins Lager gebracht. Nur er entkam der Miliz. Er muß die ganzen Monate allein durch die Karpaten gezogen sein. Aber das soll jetzt ein Ende haben. Er wird nach Tanescu kommen.«
»Keiner wird ihn nehmen! Wenn die Russen ihn entdecken … sie brennen das ganze Dorf nieder!«
»Der Krieg ist vorbei. Warum soll man ihn noch jagen?«
»Weil er ein Deutscher ist.«
Brinse gab keine Antwort. Es gab keine Antwort darauf.
Die russischen Patrouillen, die noch immer das Land durchkämmten, waren Antwort genug.
Der nächste Morgen war ein frischer Frühlingstag. Sonja schlief neben dem Bett auf ihrem Stuhl. Ihr Kopf lag neben Michaels Schulter auf dem Fell. Die langen Haare hüllten seine Brust ein wie eine dünne Decke.
Grigori war schon wieder bei der Herde. Er hatte sie aus der Umzäunung gelassen und ging den Waldrand ab, ob nicht wieder hungrige Wölfe aus den Felsen hervorbrachen. Der Körper des toten Wolfes lag noch immer auf der Wiese. Vielleicht schreckte es die anderen ab, sich aus dem schützenden Wald herauszuwagen.
Fast zur gleichen Zeit erwachten Sonja und Michael.
Während sie sich aufrichtete und die Haare über die Schulter auf den Rücken warf, ergriff Michael im Erwachen ihre Hand und hielt sie fest.
»Du bist noch da?« fragte er. »Es war also kein Traum?«
Das Fieber war zurückgegangen. Er fühlte sich nach dem langen Schlaf frischer und mutig genug, aufzustehen. Mit der anderen Hand hielt er Sonjas Arm nun
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