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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schüttelte den Kopf. Wohl zuckte es in der Schulter, aber es war kein Schmerz im Vergleich zu dem, was vor wenigen Minuten gewesen war. Oder waren es Stunden? In der Hütte brannte die Lampe … und als der Wolf ihn ansprang, war es heller Morgen gewesen.
    »Wo ist der Wolf?« fragte er und versuchte, sich aufzurichten. Da erst brannte die Wunde wieder. Ächzend sank er auf das Lager zurück.
    »Tot«, sagte der Hirte. Er schob Michael einen zusammengerollten Mantel unter den Kopf.
    Im Hintergrund qualmte und flackerte auf einem aus Lehm und Stein gebauten offenen Ofen ein Holzfeuer. An einer Eisenkette, durch einen großen, selbstgeschmiedeten Haken gehalten, pendelte ein großer Kessel mit sprudelndem Wasser über den Flammen.
    »Ich koche dir einen Tee«, sagte der Hirte. »Und dann werde ich dich allein lassen …«
    »Allein?« Michaels Augen wurden weit und ängstlich.
    »Ich gehe hinunter ins Dorf und hole einen Arzt.«
    Michael nickte. Er beobachtete, wie der Hirte mit einer hölzernen Kelle in ein Tongefäß kochendes Wasser schöpfte. Kurz darauf roch es nach Tee in der niedrigen Hütte.
    Ein merkwürdiger Mann, dachte Michael. Er begann, sich zu erinnern … der Wolf sprang ihn das dritte Mal an. Und während das Tier ihn in die Schulter biß und er zu Boden gerissen wurde, hatte er einen Ruf gehört … einen deutschen Ruf … Wie war es denn noch … Stehenbleiben … Richtig … Jemand hatte ›Stehenbleiben!‹ geschrien. Jemand hatte in deutscher Sprache …
    Michael hob den Kopf von der Mantelrolle. Der Hirte hatte seine Pelzmütze aufgesetzt und packte einige Käsestücke, groß wie Fäuste, in eine geflochtene Tasche, die er um den Hals hängen hatte.
    »Wo kommst du her, Kumpel?« fragte Michael auf deutsch.
    Der Hirte drehte sich nicht herum. Nur für einen winzigen Augenblick stockte seine Hand, als sie einen neuen Käse in die Tasche legte. Michael hatte es genau bemerkt … aber es konnte auch ein Zufall sein. Eine Reaktion auf die Stimme, die die Stille des Raumes unterbrach.
    »Woher kannst du Deutsch?« fragte Michael weiter. »Ich habe es deutlich gehört … Du kannst Deutsch!«
    Der Hirte drehte sich um. Er musterte Michael Peters lange, stumm, abschätzend, nachdenklich. Sein von Haaren überwuchertes Gesicht zeigte keinerlei Regungen. Es war ein haariger, dunkler Fleck hinter der flackernden Öllampe.
    »Hat dich jemand gesehen?« fragte er auf deutsch. Michael zuckte hoch, aber der stechende Schmerz in der Schulter warf ihn zurück auf das Bett.
    »Du … du … du bist ein Deutscher?« stammelte er. »Mensch … wo kommst du denn her? Und du bist Hirte? Du bist hier als Rumäne …«
    Der Hirte setzte sich zu Michael ans Bett. Er lächelte jetzt.
    »Ich heiße Paul Herberg. Feldwebel bei der 23. Gebirgsjäger-Division. Als die Scheiße am Prut losging, bin ich abgehauen. Lieber in den Wäldern leben, denn als Heldenleiche im Massengrab liegen. Vier Wochen bin ich gelaufen … immer vor den Russen her, oder vor der deutschen Feldgendarmerie … der Erfolg, wenn man mich gekriegt hätte, wäre der gleiche gewesen. Aber ich hatte Schwein … ich kam durch, ich verkroch mich in einer Höhle, bis alles vorbeigerollt war. Dann bin ich ins Dorf gegangen und habe mich als Hirte anstellen lassen.«
    »Und die Miliz? Die Russen?«
    »Sechsmal waren die Kerle hier …« Paul Herberg grinste und tippte sich an die Stirn. »Köpfchen muß man haben! Ich bin taubstumm, weißt du? Und ein bißchen blöd bin ich auch! Wenn die Russen kommen, mache ich ›lalala‹ und ›oheioheiohei‹ … da lachen sie und gehen wieder. Mittlerweile weiß man bei allen Stationen, daß hier auf der Alm ein Depp lebt, ein blöder und taubstummer Hirte. Und wenn sie jetzt kommen, wollen sie nur frischen Käse. Den gebe ich ihnen und nehme das Geld nicht an, weil ich ja zu blöd bin, um zu wissen, was Geld ist!«
    »Toll!« sagte Michael. »Und wie lange willst du das weiterspielen?«
    »Bis ich nach Hause kann. Nach Berlin. Dort sitzt jetzt der Russe … aber immer wird er ja nicht da sitzen.«
    »Und wenn es doch der Fall ist?«
    »Du meinst, wenn alles im Eimer ist? Alles?« Paul Herberg sah auf den rohen Bretterboden der Hütte. Er hob die breiten Schultern. »Dann bleibe ich der blöde Hirte, bis zum Ende. Vielleicht ist Blödheit dann noch das Beste in dieser wahnsinnigen Welt. Man lebt ruhig, und alles geht an einem vorbei.«
    Er stand von dem Bett auf, schraubte die Öllampe niedriger und schob die Tasche mit

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