Der letzte Karpatenwolf
nicht anders … du wirst einst darüber richten, wenn ich vor dir stehe. Aber jetzt höre und sieh nichts …
Noch sieben Meter … noch fünf … noch drei …
Es war der dunkle Milizsoldat. Deutlich sah es Paul Herberg. Von der Kimme über das Korn starrte er in das Gesicht Mormeths.
Mein Gott – dachte er noch einmal. Dann drückte er ab.
Als er nach dem Rückschlag wieder durch die Schießscharte blickte, war der weißliche Fleck weg. Vor der Tür lag ein zusammengekrümmter Klumpen. Reglos. Stumm.
Gegen Mittag wurde Stepan Mormeth gefunden.
Er saß hinter dem Dorf, an der Straße nach Opesti, also genau entgegengesetzt der Berge, im Süden, an einem Baum. In seiner Stirn war ein blutverkrustetes, kreisrundes Loch. Sein Gesicht war noch voller Staunen, als wundere er sich im Tod noch darüber, daß so etwas möglich war.
Der Feldwebel tobte. Kommissar Lupescu schrie. Major Sumjow verhängte den Ausnahmezustand über Tanescu und den ganzen Bezirk. Razzien kämmten den ganzen Süden durch.
Mit allen militärischen Ehren wurde Stepan Mormeth in Tanescu begraben. Alle Bauern mußten mitgehen, so befahl es Sumjow. Sie mußten große Transparente tragen: ›Er starb für die Freiheit der Arbeiterklasse!‹ – ›Nieder mit allen Reaktionären!‹
Auch Grigori, der Blöde, mußte mitgehen.
»Oheioheiohei«, schrie er beim Gehen, und alle mußten grinsen.
Nur Georghe Brinse grinste nicht. Er starrte Grigori an, als er an ihm vorbeiging. Und Grigori senkte den Kopf …
Am Tag des Begräbnisses von Stepan Mormeth kam ein junger Rumäne ins Dorf und suchte Arbeit bei der Traktorenstation. Er gab an, aus Comarino zu kommen und dort vor den Deutschen weggelaufen zu sein. Er hatte dann, herumziehend von Dorf zu Dorf, alles getan, was man von ihm verlangte. Nun wollte er seßhaft werden und etwas für den Aufbau leisten.
Der Leiter der Traktorenstation war mit dem, was er hörte, zufrieden. Junge Männer geben immer Beispiele und ziehen andere nach, dachte er. Und gute Kommunisten sind immer eine Zelle, die sich entwickelt zu einer Parteistelle oder gar einer Bezirksleitung.
»Gut, gut«, sagte der Traktorenleiter gnädig. »Du kannst morgen anfangen. Wie heißt du übrigens?«
»Wassile Popa.«
»Also gut, Wassile Popa – hast du eine Schlafstelle?«
»Nein. Ich bin eben erst nach Tanescu gekommen.«
»Wir werden schon eine finden.« Der Traktorenleiter dachte nach. »Warte, da ist doch ein Bett frei geworden. Gerade heute wird er begraben, der Gute. Ermordet hat man ihn, denk dir das. Einfach in den Kopf geschossen. Haargenau über den Augen. War ein guter Schuß … nur Mormeth war nicht der Richtige. Man sollte jeden Schuß aufsparen für die Feinde des Bolschewismus, was, Popa?«
»Das sollte man, Genosse«, sagte Popa kraftvoll. Im Inneren lächelte er. Wenn sie wüßten, wer er war. Wassile Popa, der junge Legionär, das ›Grünhemd‹, der Partisan, der als einziger das Massaker in den Bergen überlebt hatte, bei dem Major Neculae Tripadus mit allen Getreuen unterging, samt seiner jungen Frau Vera Mocanu. Und nur, weil ein junger deutscher Soldat sie verraten hatte. Ein Hund von einem Deutschen.
Diesen Irrtum trug Popa seit Monaten mit sich herum. Er konnte nicht vergessen, aber er spielte sich mit treuherzigen Augen in die Gegenwart hinüber, um die Zukunft zu gewinnen.
»Das Zimmer ist im Haus der Patrascus«, sagte der Traktorenleiter weiter. »Der alte Mihai wird dich zuerst hinauswerfen … aber du hast den Befehl, dort zu wohnen. Und ein süßes Täubchen haben sie … Sonja heißt es! Na ja, es wird schon gehen. Melde dich morgen früh um sechs bei mir und erzähle, wie's gewesen ist.«
»Ganz wie du willst, Genosse Natschalnik!«
Der Einsatzleiter sah Wassile Popa wohlwollend nach. Natschalnik hat er gesagt, dachte er. Der Mann hat Bildung. Und ein kommunistisches Herz. Er wird einmal seinen Weg machen. Die Revolution braucht Kinder, die ihren Geist in die Seele aufnehmen.
Im Haus war nur Sonja.
Sie kochte eine Suppe, als Popa das Zimmer betrat und sich verbeugte. Das Täubchen, dachte er. Natürlich, sie ist es. Aber das ist kein Täubchen … das ist ein junger Adler. Schön wie die Berggipfel im Abendrot.
Sonja blickte von dem großen Topf hinüber zu dem Fremden, der einen kleinen Rucksack auf die Dielen gestellt hatte.
»Du bist der Nachfolger Mormeths?« fragte sie. »Warum kommst du nicht in Uniform?«
»Ich bin kein Milizsoldat. Ich bin Wassile Popa. Ich arbeite ab morgen
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