Der letzte Karpatenwolf
sich die Möbel zerschlagen, als seien es alte Scherben. Danke, Genosse, sagen sie sogar hinterher. Als wenn man ihnen einen Gefallen damit tut! Und dieser Mihai ist nicht anders, was?! Aufmachen, du Kröte!«
Die Soldaten hämmerten wieder gegen die Tür. Sonja und Anna krochen in ihren Betten zusammen … aus dem kleinen Hinterzimmer rannte Stepan Mormeth herbei. Er zog seine Hose hoch, denn er war gerade dabeigewesen, sich der Uniform zu entledigen.
Mitten in der Stube stand Mihai Patrascu. Er war nicht aufgeregt, er war nicht erstaunt, er war nicht wütend … er war einfach da, wie ein Pfahl, den man in den Fußboden gerammt hatte.
»Macht auf!« rief Mormeth. »Es sind Russen!«
»Man hört's! Ich will ins Bett!«
»Wie kann man etwas wollen, wenn Russen draußen stehen?!« Mormeth rannte zur Tür und schob den Riegel zur Seite, ehe Sumjow sie einschlagen ließ. Dann sprang er aus dem Weg, denn der Major, Lupescu und sieben Sowjetsoldaten stürmten wie eine Sturzflut in den großen Raum. Vor Mihai blieb Sumjow abrupt stehen. Das Feuer, das auf dem Herd flackerte, überzuckte die erregten Gesichter. Es war die einzige Beleuchtung im Zimmer.
»Aha!« schrie Sumjow. »Auch so ein Saboteur! Warum hebst du nicht die Faust zum Gruß, du Schwein?!«
»Wenn ich die Faust hebe, gehst du zu deinen Vätern, Genosse«, sagte Mihai dumpf. »Das Herunterfallen meiner Faust hat noch keiner überlebt. Nicht mal ein Ochse … geschweige ein Major.«
Sumjow starrte Mihai an. Ein Bär von einem Kerl. Furchtlos, trotz seines Alters von der Art, die Bäume entwurzeln kann. Sumjow schluckte seinen Ärger hinunter. Es war sinnlos, hier mit Drohungen etwas zu versuchen. Sumjow kannte das – auch in Rußland gab es noch solche Riesen. Leider.
»Was weißt du von zwei deutschen Soldaten?« fragte er laut, aber verhältnismäßig höflich.
»Nichts!«
»Natürlich. Das habe ich erwartet. Alle hier wissen nichts. Die Uniformen fliegen nur so durch die Luft. Hui – sind sie da! Und liegen im Keller. Versteckt! Welche Wunderuniformen!« Sumjow beugte sich zu Patrascu vor. Sein Atem strich über das zerklüftete Gesicht des Alten. »Weißt du, was wir mit allen gemacht haben, die nichts wußten?«
»Was geht's mich an?«
»Oh, viel. Sehr viel! Wir haben alle Möbel zerschlagen. Ja, das haben wir!«
Mihai Patrascu trat zurück und zur Seite. Er hob den Arm und zeigte damit in die Runde.
»Bitte«, sagte er laut. »Fangt an! Mir gefallen die alten sowieso nicht mehr! Wenn sich herausstellt, daß ich unschuldig bin, bekomme ich ja von euch neue, schönere Möbel als Entschädigung …«
Major Sumjow schwieg verblüfft. Jon Lupescu riß den Mund weit auf. Aha, dachten beide. So ist das. Darum wehrten sich die Bauern nicht, als wir Kleinholz machten. Sie beantragen einfach eine Entschädigung, weil sie unschuldig sind. Und dann wird es in Bukarest heißen: Wer ist der Idiot, der Unschuldigen die Möbel zerklopft? Wer wohl? Der Major Boris Petrowitsch Sumjow. Ein Rindvieh, wie man sieht! Ab mit ihm nach Moskau oder hinter den Ural!
Sumjow schluckte. Der Gedanke an den Ural erzeugte einen Speiseröhrenkrampf.
»Wo ist deine Frau?«
»Im Bett.«
»Eine Tochter hat er auch!« sagte Lupescu genußvoll.
Mormeth blitzte ihn an. Dafür werde ich dich noch umbringen, dachte er. Und man las es in seinen Augen, wenn man verstand, den Blick zu deuten. Sumjow hob die Augenbrauen.
»Ein Täubchen in diesem Schlag? Her mit ihr! An solche Füchslein wenden sich meistens die Deutschen. Raus aus den Betten mit dem Gesindel!« brüllte er, als er sah, wie Patrascu sich nicht rührte.
In diesem Augenblick betrat Georghe Brinse das Haus. Sumjow fuhr herum.
»Was will die Mumie hier?« schrie er. »Wer hat ihn überhaupt hereingelassen?!«
»Ich bin Georghe Brinse«, sagte der alte Arzt. Mit einem kurzen Blick überflog und erkannte er die peinliche Situation der Patrascus.
»Brinse heißt auf rumänisch: Käse!« schrie Major Sumjow. »Ich will keinen Käse – ich will die Frau und die Tochter verhören!«
»Auf Ihre Verantwortung, Genosse Major.« Brinse nickte dem alten Mihai zu. Dieser trottete aus dem Zimmer in den Schlafraum, wo Anna und Sonja zusammengekrochen im Bett saßen. »Ich bin Arzt. Vom Distriktsarzt eingesetzt.« Er blickte zu Sonja und Anna Patrascu hinüber, die hinter Mihai aus dem Schlafzimmer kamen, eingehüllt in große, dicke Schals, die den ganzen Körper bedeckten. Ihre bleichen Gesichter im Feuerschein wirkten
Weitere Kostenlose Bücher