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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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würde ich dir sagen, daß ich mir elend vorkomme. Saumäßig elend.
    »Er hat sicherlich Mihai gesehen«, sagte Brinse zu Sonja. »Aber wie soll man ihn fragen? Er versteht ja nichts.«
    »Aber Zeichen versteht er. Laß es mich versuchen.«
    Sonja machte mit den Händen die Bewegung des Verbindens und zeigte dann auf die Schulter. Grigori nickte lebhaft. Als er Brinse ansah, war sein Blick flehend.
    »Ohohohoh«, stammelte er. »Dadadada …« Er zeigte auf die Felsen und winkte. Dann ging er voran, mit gesenktem Kopf. Schweigend gingen sie eine halbe Stunde durch Schluchten und stiegen immer höher. Als sie vor der Felswand standen, zeigte Grigori hinauf.
    Brinse sah empor. »Dort? Er kann doch nicht fliegen? Du mußt dich irren!«
    Grigori schüttelte den Kopf. Sonja sah es nicht – sie starrte die glatte Wand hinauf. Ein Schauder erfaßte sie.
    »Michael!« rief sie mit heller Stimme. »Mihai … ich komme dich holen! Wo bist du? Hörst du mich?!«
    Die Felswand hinab polterten einige Steine. Man sah nicht, woher sie kamen … dort, wo sie sich gelöst hatten, war die Nacht vollkommen und war der Himmel tiefer als die Felsen hoch.
    »Sonja …«, antwortete eine helle, aber so weite Stimme.
    »Mihai!« schrie Sonja glücklich auf. »Komm herab! Kannst du denn absteigen? O Gott, stürze nicht ab! Onkel Brinse ist auch hier. Und Grigori. Er hat uns geführt. Komm zurück ins Dorf … es ist alles vorbei.«
    Wieder polterten ein paar Steine in die Schlucht. Dann fiel ein Rucksack hinab. Sonja dachte zuerst, als der dunkle Gegenstand aus den Wolken fiel, es sei Michael. Sie schrie gellend auf, schlug die Hände vor die Augen und verbarg das Gesicht an Brinses Schulter.
    »Es ist nur der Sack, Täubchen«, sagte Brinse leise und legte den Arm tröstend um Sonjas Schulter. Aber dann gefror ihm das Wort auf den Lippen.
    Die steile Felswand hinab kletterte Michael Peters. Es war unfaßbar, wo er Ritzen oder Risse fand, sich darin festzuhalten oder die tastenden Füße mit den Zehenspitzen aufzustützen. Aber er kletterte abwärts … er klebte fast an der Wand … es war, als rutsche er sie abwärts, wie gehalten von einem unsichtbaren Seil, das sich unendlich abrollte.
    Eine halbe Stunde dauerte es, bis Michael keuchend und naß von Schweiß auf der Erde stand. Dann fielen sie sich in die Arme und küßten sich. Brinse zog Grigori zur Seite.
    »Hatte er dich entdeckt?« fragte er leise. Paul Herberg sah ihn entsetzt an. Brinse winkte lächelnd. »Wenn Verliebte sich so miteinander beschäftigen, hören und sehen sie nichts.«
    »Er hatte ein deutsches Taschenbuch gesehen. Es war Notwehr.«
    Er wollte weitersprechen, aber Michael und Sonja kamen wieder auf sie zu. Sie waren glücklich wie beschenkte Kinder. Michael ergriff Brinses Hände.
    »Ich danke Ihnen, Doktor! Ich habe schon gedacht, daß ich wieder monatelang in einer Höhle leben muß. Es wäre furchtbar gewesen …«
    »Es wird auch jetzt wieder furchtbar sein.« Brinse nahm den Rucksack vom Boden und gab ihn an Grigori weiter. »Du mußt wieder in der Kammer unterm Dach wohnen. Vielleicht noch ein Jahr … oder länger. Mormeth ist tot … aber dafür wohnt ein anderer bei den Patrascus. Wassile Popa, ein junger Kommunist und Traktorist.«
    Michael senkte den Kopf. »Ich werde alles tun, ich will jahrelang unterm Dach liegen … wenn nur Sonja da ist.«
    »Jahrelang?« Der alte Arzt stutzte. »Willst du denn nicht nach Deutschland zurück?«
    »Kann ich es denn?«
    »Einmal wird man dich herauslassen aus Rumänien. Als freier Mann.«
    »Weißt du das sicher?«
    Georghe Brinse wußte darauf keine Antwort. »Gehen wir«, sagte er rauh. »Im Morgengrauen werden die Posten abgelöst. Da mußt du längst unterm Dach liegen.«
    Drei Monate lang lebte Michael wie eine Ratte zwischen Schindeldach und Lehmdecke. Drei Monate lang ging er nur nachts in den Wiesen spazieren und lag mit Sonja in den hochstehenden Maisfeldern. Drei Monate lang war es ein Traum von Liebe und Glück, trotz der nächtlichen Angst, gesehen zu werden oder Wassile Popa in die Arme zu laufen.
    Die kommunistische Erziehung der Bauern von Tanescu ging weiter. Lupescu hielt Vorträge und verbot alle Fragen, nachdem er bei einer öffentlichen Diskussion gefragt worden war: »Genosse Kommissar: Besteht die Absicht, rote Kühe zu züchten?!«
    Ein Vetter Sonjas aus dem Nachbardorf wurde bei der Polizei eingestellt. Als er sich zum erstenmal in der neuen Uniform dem Onkel Mihai vorstellte, kam er so

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