Der letzte Karpatenwolf
sie aus der Stolowaja. Sie ließen es ruhig geschehen. Nur in den dichtgedrängten Reihen der anderen knirschte es vernehmlich, als rieben Hunderte Zähne aufeinander.
Major Sumjow brach der Schweiß aus. Er sah zu Jon Lupescu, der bleich hinter ihm stand.
»Reden Sie ihnen ins Gewissen, Genosse Kommissar«, flüsterte er. »Sie sind Rumäne wie sie.«
»Sie haben kein Gewissen, Genosse Major.« Lupescu verzog das Gesicht. »Vor allem nicht in der Masse. Wenn wir sie einzeln vornehmen, ist es eher möglich. Rudelweise tragen sie eher Berge ab, als zu reden, was sie nicht wollen.«
»Gut!« Sumjow straffte seine Uniformjacke. Er sah elegant aus. Die breiten Schulterstücke glänzten im Licht der Glühlampen. Die Stolowaja war neben der Kolchose das einzige Haus, das den neuen elektrischen Strom erhalten hatte. Über eine Schwebeleitung kam er direkt aus Bacau. »Kultur in die hinterste Ecke!« hatte Lupescu beim Einschalten der ersten Glühbirne geschrien. Es war gut, daß diesen klassischen Satz Major Sumjow nicht gehört hatte.
»Verhören Sie einzeln! Und in ihren Häusern! Das macht Eindruck, wenn wir bei den Verstockten die Möbel zerschlagen …«
»Das macht es«, sagte Lupescu schluckend. Er hatte Angst, in Zukunft wieder allein nach Tanescu zu fahren, wenn Sumjow wirklich die rauhen Methoden anwandte.
Die Bauern durften wieder auf ihre Felder gehen, in die Ställe, in den Wald. Aber um das Dorf wurde ein Ring gelegt. Sowjetsoldaten bewachten jeden, der ins Dorf kam und der das Dorf verließ. Währenddessen durchstreifte die Miliz wieder die angrenzenden Wälder und überprüfte vor allem die im letzten Jahr nach Tanescu Hinzugezogenen. Biedere Handwerker aus den Nachbarorten, einige Kaufleute, zwei Spielleute, einen Karussellbesitzer. Und den blöden Grigori.
Die Überprüfung Grigoris war selbst dem Feldwebel zu dumm. Er trank mit Stepan Mormeth zwei Tassen Schafsmilch, aß einen Käse und sah Grigori zu, wie er in einem alten Holzfaß butterte.
»Wenn er nicht auf zwei Beinen ginge, könnte man denken, das ist ein Riesenaffe!« lachte der Feldwebel. Dann klopfte er Grigori auf die breite Schulter, steckte den Finger in den gesäuerten Butterrahm und leckte ihn ab. »Wenn du wüßtest, was da unten los ist«, sagte er. Der Grigori verstand es ja doch nicht. Er war ja taub. »Deutsche suchen sie wieder … jetzt noch! Die Jacke von 'nem Feldwebel haben sie gefunden. Jei, war der Major wild! Na ja – gehen wir … irgendwie müssen wir ja unseren Sold verdienen, was Brüderchen Blöder?«
Er lachte wieder und verließ mit Mormeth die Hütte.
Paul Herberg sah ihnen vom Fenster aus nach. Sie gingen den Hang wieder hinab. Sie durchsuchten nicht die Wälder über der Hütte.
Den Rock eines Feldwebels haben sie gefunden, dachte Paul Herberg. Meinen Rock …
Er wandte sich um, seinem Butterfaß zu. Da wurde er blaß und riß sich das Hemd über der haarigen Brust auf. Es war ihm plötzlich unerträglich heiß geworden.
Auf dem Tisch lag ein kleines Notizbuch, in das er Besonderheiten eintrug. Ein deutsches Notizbuch. Als die Milizleute kamen, hatte er vergessen, es einzustecken oder wegzugeben.
Paul Herberg rannte wieder zum Fenster. Er war zu allem entschlossen. Aber die beiden Milizsoldaten gingen weiter den Hang hinab, mit eiligen Schritten. Sie hatten nichts gesehen.
Es war ein Irrtum des blöden Grigori. Stepan Mormeth hatte das deutsche Notizbuch doch gesehen. Mit schnellem, geübtem Blick hatte er erkannt, was es war.
Wie kommt Grigori dazu, grübelte er, während er zum Dorf abstieg. Er kann doch weder lesen noch schreiben?! Wie kommt ein deutsches Buch in die Schäferhütte?
Er nahm sich vor, am Abend noch einmal zu Grigori zu gehen. Allein … man konnte sich lächerlich machen. Gerade bei einem Verdacht auf den blöden Grigori.
War aber etwas dahinter … o ihr wilden Adler, dann konnte aus Stepan Mormeth noch ein Unteroffizier werden. Und einen Unteroffizier warf der alte Patrascu nicht hinaus. Eine silberne Tresse überbot selbst die dunkle Haut …
Es war schon später Abend, und Mihai Patrascu wollte ins Bett kriechen, als Major Sumjow bei seiner Verhörrunde an das Patrascu-Haus geriet. Lupescu winkte ab, als Sumjow mit Gewehrkolben anklopfen lassen wollte.
»Wer den Mihai kennt, der weiß …«, setzte er an, aber der Sowjetmajor winkte energisch ab.
»Keiner ist heute so rein, wie er sein soll!« schnauzte er. »Dieses Nest ist ein Saustall! Keiner weiß etwas! Und die lassen
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