Der letzte Karpatenwolf
unter einem Dach.
Ist es vorstellbar, daß ein Mensch es aushält – und sogar glücklich dabei ist! Wirklich glücklich, weil zehn Jahre lang, 3.650 Tage und Nächte lang ein Mädchen neben ihm liegt, wie er hingeduckt zwischen Decke und Dach und ihm 3.650mal aus tiefster Seele sagt: Ich liebe dich, Mihai … und wenn wir ein Leben lang hier hocken müssen … ich gehe nie weg, ich bleibe bei dir … ich gehöre zu dir wie der Wind zum Regen. Ich bin ohne dich nicht mehr … du bist mein Leben, mein Atem, mein Denken.
Neununddreißigmal gingen Razzien durch die Dörfer. Immer wieder tauchten deutsche Soldaten auf. Die Kopfprämien waren geblieben … nur galten sie jetzt nicht mehr den Soldaten, sondern man nannte sie jetzt ›Spione‹.
Jon Lupescu war versetzt worden. Major Sumjow war Oberst geworden und leitete den gesamten Aufbau der Süd- und Ostkarpaten im Sinne Moskaus. Der junge König Michael war aus Rumänien geflüchtet. Es war alles umgestaltet worden … sogar in Tanescu. Jeder Bauer hatte eine rote Fahne bekommen, die er an neuen Nationalfeiertagen vor dem Haus anbringen mußte. Nur einmal hatte es deswegen Krach gegeben. Oberst Sumjow fuhr selbst nach Tanescu, weil er die Ungeheuerlichkeit nicht glauben wollte und sie selbst sehen wollte. Die Tanescuer hatten zur Kirmes die roten Fahnen herausgehängt. Auf dem Festplatz tanzte man Walzer vor den Bildern Stalins und Lenins.
»Sie werden nie reif!« schrie Oberst Sumjow, fuhr wieder nach Bacau und hütete sich, einen Bericht darüber zu schreiben. Er liebte seine Uniform viel zu sehr, um sie mit einem Arbeitsanzug in der Katorga zu vertauschen.
Vetter Eftimie war in diesen zehn Jahren sehr nützlich. Er warnte die Patrascus rechtzeitig vor jeder Razzia. Dann brachte man Michael schnell in die Berge zurück, in seine unangreifbare Höhle in der Steilwand.
Auch Popa lebte noch bei den Patrascus. Er war stellvertretender Natschalnik geworden und versuchte seit acht Jahren, bei dem alten Mihai um die Hand Sonjas anzuhalten.
»Wie kann ein Mädchen wie Sonja nicht für die Liebe sein!« rief er einmal – es war im achten Jahr –, als Mihai brummend sagte: »Sonja verliebt sich nicht!«
Popa verstand es einfach nicht. Aus dem wilden Mädchen war eine sechsundzwanzigjährige stramme Frau geworden. Schöner als zuvor, reifer, vollbusig, mit den Bewegungen einer Katze, die Popa den Schweiß auf die Stirn trieben, wenn er ihr nachschaute. »Sie kann doch nicht aus Stein sein!« sagte er verzweifelt. »So ein Weib! Sie muß nach Liebe schreien! Sie ist doch reif wie ein Apfel, den der nächste Wind vom Stamm weht! Hat sie denn Essig statt Blut in den Adern?! Ich versteh es einfach nicht!«
An einem Sommerabend sollte er es verstehen lernen.
Er war früher zurückgekommen. Die Traktoren waren ausgeliehen, die Bücher stimmten, da hatte Popa Feierabend gemacht, um noch einmal mit Sonja zu sprechen und festzustellen, warum sie so unempfindlich war.
Er traf Sonja im Maisfeld an. Sie lag – als er leise heranschlich – an der Seite eines blonden, starken, großen Mannes. Er trug eine Bauernhose, das rumänische Hemd mit den weiten Ärmeln, einen gestickten Gürtel mit einem Messer in Silberscheide, und neben ihm im Mais lag eine bestickte hohe Mütze aus schwarzem Wollfilz.
Wassile Popa schnaubte durch die Nase. Ein Mann neben Sonja … Seit zehn Jahren verschloß sie sich, und hier lag sie neben einem Mann im Mais, den Kopf auf seiner Brust, selig und mit seinen Fingern spielend.
In Popa zerriß die Vernunft. Er schrie auf und sprang mit einem raubtierhaften Satz in das niedergetretene Maisfeldstück. Gleichzeitig riß er sein Messer aus der Tasche und duckte sich.
Michael und Sonja waren bei dem Schrei hochgeschreckt. Während Sonja starr vor Schrecken und Entsetzen die Hand gegen den Mund gepreßt hatte und auf ihre Finger biß, um nicht grell schreien zu müssen, hatte sich Michael mit zwei Schritten von Popa entfernt und ebenfalls sein Messer aus dem Gürtel gezogen. Mit kalten, mitleidlosen Augen starrten sie sich an.
»Wer bist du, Hund?« schrie Popa heiser. »Wo kommst du her?«
»Aus Deutschland«, sagte Michael furchtlos.
»Aus –« Popa stieß mit dem Kopf vor. In seinen Augen flimmerte es wie Wahnsinn. Sein Mund war keuchend geöffnet, als bekäme er keine Luft mehr. »Warst du bei Tripadus … warst du bei Vera Mocanu …«, flüsterte er fast.
Michaels Kopf zuckte. Vera, dachte er. Elf Jahre ist es her. Woher kennt er mich? Wer
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